„Am Ende des Tages geht’s um Privilegien“

Mirsad Aljusevic ist der Sohn einer alleinerziehenden muslimischen Mutter, flüchtete als Kind vor dem Jugoslawienkrieg, wuchs als Migrant in Deutschland auf und ist queer. Heute ist er Group Diversity Manager der Erste Bank und erklärt, was Österreich bei Gender Equality von Rumänien und Serbien lernen kann, warum es in der Diversitätsdebatte radikalen Mut braucht und was es mit Rainbow Washing auf sich hat.

Ihre Biografie vereint ganz viele Bereiche der Diversität. Wie fühlt es sich an, einen Background zu haben, den niemand sonst teilt?

Ich habe schon sehr früh erfahren, was es heißt, wo nicht recht dazuzugehören. Ich bin 15 Jahre lang in Deutschland aufgewachsen. Meine Mutter war mit mir aus Serbien vor dem Krieg geflohen. Es war nicht einfach für sie, ohne Deutschkenntnisse Arbeit für sie und eine Schule für mich zu finden. Mit elf Jahren hab ich dann bemerkt, dass ich schwul bin. Nachdem ich schon als Migrant nie so richtig dazugehört habe, war das dann fast eine Doppelbelastung. Für mich war aber klar, ich kann mich nicht ändern und ich ziehe das jetzt durch.

Was muss sich in Unternehmen und in der Gesellschaft ändern, damit das Thema Diversität mehr gelebt wird?

Man muss den Mut haben und bereit sein, Dinge, die schon immer so waren, gänzlich neu zu hinterfragen. Und hinterfragen zu dürfen. Es ist einfach selbstverständlich, dass in Österreich Männer in Führung sind und die Gesellschaft auf die Bedürfnisse von Männern zugeschnitten sind. Das fängt bei der 40 Stunden Woche an, die für Frauen schwierig umzusetzen ist, wenn sie nach der Karenz zurück in den Beruf kommen wollen. Wie sollen sie jemals aufsteigen, wenn sie so lange weg waren?

Dadurch sind Frauen auch oft finanziell abhängig von Männern. Ein Teufelskreis.

Genau. Frauen haben im Schnitt ein um 20% geringeres Einkommen. Jede vierte Frau ist im Alter armutsgefährdet. Deswegen arbeiten wir gerade an einer kostenlosen Finanzbildungsinitiative für Frauen, damit sie im Alter besser abgesichert sind. Man weiß, dass Frauen viel risikoaverser sind als Männer. Da braucht es auch für Geldanlagen andere Herangehensweisen. Das sind Systeme, die wir nicht aufbrechen können, wenn wir das nicht grundlegend neu denken und uns fragen, welcher Mensch welche Bedürfnisse hat. Die Zeiten von „One size fits all“ haben ausgedient. Wenn wir uns trauen, vermeintlich Selbstverständliches zu hinterfragen, kann das einen irren Impact auf Unternehmensstrukturen, Beförderungen, Arbeitszeiten und schlussendlich die Gesellschaft haben.

Zahlreiche Studien bestätigen, dass Teams und Unternehmen von Vielfalt und Diversität profitieren. Wie lebt man Diversität im unternehmerischen Umfeld richtig?

Wie man Diversität lebt, hängt viel damit zusammen, wie man die Welt sieht. Welche Form von Betroffenheit man selbst spürt. Es gibt Menschen, die glauben, sie haben nichts mit Diversität am Hut. Sie merken nicht, dass ihr Onkel heimlich schwul lebt, dass die Cousine eine Behinderung hat, die man nicht sieht. Da gibt es Menschen, die mit Scheuklappen durch die Welt gehen. Deswegen haben wir ein Unconscious Bias Training, wo es drum geht, blinde Flecken aufzudecken. Wo Menschen angeregt werden, sich etwas genauer im eigenen Umfeld umzuschauen. Diversität ist nicht nur ein Corporate Thema mit ein paar Regenbogenfahnen. Vielleicht ist dir das Thema näher, als du denkst.

 

 

„Wie man Diversität lebt, hängt viel damit zusammen, wie man die Welt sieht.”

 

 

Woran merken Sie, dass Diversity im Business Kontext immer wichtiger wird?

Es ist heute mehr Druck da. Als ich angefangen hab, mich mit dem Thema zu beschäftigen, war das Thema ESG noch nicht so groß.  In Investor Relations gab es vor zwei bis drei Jahren, also vor Corona, noch wenig Interesse für Diversity Maßnahmen. Heute haben wir konkrete Anfragen von Investoren zu Diversity Maßnahmen und Strategien. Und es ist ständig Thema: Vom Non Financial Report, zum Financial Report, von Pressekonferenzen, journalistischen Anfragen. Es gibt heute eine höhere Erwartungshaltung, das Thema zu behandeln. Man kann sich als Unternehmen unserer Größe nicht mehr leisten, das nicht zu behandeln. 

Was ist Inklusion noch, abseits vom Corporate Thema?

Im Endeffekt geht’s um Privilegien. Welche Privilegien hast du, welche haben die anderen und kannst du erkennen, wenn jemand mit weniger Privilegien vor dir steht? Hast du dir schonmal vorgestellt, wie es ist, als jemand im Rollstuhl von A nach B zu kommen? Inklusion hat also ganz viel damit zu tun, alte Mindsets aufzubrechen und sich in jemanden hineinzuversetzen. Und auch bereit zu sein, Standpunkte von Personen zu akzeptieren, deren Leben man nicht lebt.

Kommt es da zu Reibereien, wenn wo diese Akzeptanz fehlt?

Ja, immer wieder. Bestes Beispiel dafür ist ja die Gender-Diskussion. Wir gendern mit Doppelpunkt, um zu zeigen, dass wir alle meinen: Männer, Frauen, jedes andere Geschlecht. Und dann gibt es Personen, die auf diesen Doppelpunkt reagieren mit: “Dieses dritte Geschlecht gibts ja gar nicht”. Aber die Wahrheit ist: It’s not up to you to decide that. Man muss auch mal akzeptieren, dass Menschen sich als non-binär identifizieren. Und nur weil das jemand nicht verstehst, möchte als non-binäre Person trotzdem mit einem bestimmten Pronomen angesprochen werden. Das ist das Wertvollste und Wichtigste an dem Thema: Es ist ein leben und leben lassen. Das hat auch sehr viel mit Respekt zu tun.

Sie leiten auch das queere Mitarbeiternetzwerk Erste Colours. Wie ist das entstanden?

Das ist aus einer Not heraus entstanden. Man wollte im Unternehmen einige Probleme adressieren, wo Kolleg:innen blind waren. Das Emailsystem hat die Worte schwul oder sexuelle Orientierung rausgefiltert. Die Emails gingen nicht durch. Da mussten wir auch in der IT klarstellen, dass das nicht besonders inklusiv ist.

Auch Jobdescriptions waren nur so geschrieben, dass sich nur heteronormative Menschen angesprochen gefühlt haben. Und ErsteColours ist entstanden, weil wir daran etwas ändern und das Arbeitsumfeld inklusiver gestalten wollten. Und es soll auch ein Signal nach außen sein: Man soll spüren, dass wir eine Kultur leben, in der man einfach sein kann, wie man eben ist.

Einfach so sein, wie man ist: Wie ist es als offen queere Person im Arbeistumfeld?

Ich habe immer nach einem Arbeitgeber gesucht, wo ich einfach ich selbst sein konnte und offen mit meiner Identität und meinem Backgrund umgehen konnte. Damit bin ich oft angeeckt. Umso schöner war es bei der Erste Group, das Gefühl zu haben, gut aufgehoben zu sein. Ich habe von Anfang an klagestellt, mit wem ich meine Wochenenden verbringe, dass ich einen Partner habe und das war einfach nie ein Tabu, darüber zu reden.

 

 

„Ich denke, dass es gerade während Corona einfach war, Rainbow Washing zu betreiben.”

 

Das Thema Outing am Arbeitsplatz kann sehr schwer sein. Wann ist es wichtig, offen darüber zu reden, wann ist es hinderlich?

Ich würde das von der Situation abhängig machen. Man kennt das ja: Man geht in ein Meeting, die Leute sind einem fremd und man weiß nicht, wie sie gesinnt sind. Wenn es also nur Business ist, wenn ich mit jemandem nur für ein Projekt zusammenarbeite, oder dann nie wieder sehe, dann braucht es kein Outing. Für mich ist es wichtig, dass Kolleg:innen es wissen, mit denen ich lang oder mittelfristig zusammenarbeite, mit denen ich dauernd Berührungspunkte habe. Mit denen geh ich dann auch mal abends was trinken. Da ist es mir wichtig, offen zu sein.

Im Zuge des Pride-Months kommt immer wieder das Thema Rainbow Washing auf. Was hat es damit auf sich?

Ich denke, dass es gerade während Corona einfach war, Rainbow Washing zu betreiben. Man musste nur das Profibild aktualisieren und eine Regenbogenfahne abbilden. Wir haben das beobachtet, im digitalen Raum war die Fahne plötzlich überall. Die Frage ist immer: Was steckt dahinter? Was leistet man sonst noch? Was gibt man der Community zurück? Das war unser Ansatz heuer bei der Pride. Also haben ein paar Bims mit Regenbogenfahnen gebranded und haben für jedes Foto, das davon auf Social Media mit #glaubandich gepostet wurde, 5 Euro für den Verein Queer Base gespendet, der sich für queere Migrantinnen in Österreich einsetzt. So sind 4.000 Euro zusammengekommen. Da helfen wir Menschen, die doppelt belastet sind. Sie flüchten ohnehin aus einem Background, wo sie verfolgt werden wegen ihrer Identität und Orientierung. Und für uns ist die Pride einfach dazu da, etwas zurückzugeben.

Als Diversity Manager der Erste Group haben Sie ja nicht nur mit der österreichischen Mentalität zu tun. Von welchen Ländern können wir noch etwas lernen?

Gute Frage. Bei der Frauenquote können wir sehr konkret von Rumänien und Serbien lernen. Diese beiden Länder haben bei uns im Unternehmen eine außerordentlich gute Frauenquote. In Rumänien sind derzeit 37% Frauen in Führung. Und in Serbien 42%. Da reden wir vom Level Board und Board Minus One. In Kroatien stehen wir bei der Ebene drunter, also Board Minus Two, bei 67% Frauen in Führung. Da können wir uns in Österreich wirklich ein Scheibchen abschneiden.

Woran liegt das?

Das hat mit der Kultur dort zu tun. Frauen gehen nach der Karenz sehr viel schneller in die Arbeit. Die Geschichte hat diese Länder anders geprägt als in Österreich. Das ehemalig sozialistische hat dort seine Nachwirkungen hinterlassen. Frauen haben dort ein anderes Ansehen genossen und kommen dadurch schneller in Führungspositionen. Das haben wir in Österreich nicht. Mit Best Practice Beispielen können wir also von den unterschiedlichen Ländern lernen und gut funktionierende Strukturen in andere Länder kopieren oder adaptieren.

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