Wenn Diversity auf Blue Collar trifft

Auch immer mehr Industriekonzerne müssen sich mit diversen Themen befassen. Damit Diversity Bemühen in der Blue-Collar-Branche nachhaltig erfolgreich sind, gilt es jedoch, gewisse Spielregeln zu beachten.

In ihnen wird vorrangig handwerkliche Arbeit verrichtet: Blue-Collar-Unternehmen. Darunter sind Betriebe zu verstehen, die vorrangig Handwerker:innen, Techniker:innen, Produktionsmitarbeitende beschäftigen. In großen Industrieunternehmen sind die Mitarbeitenden nach wie vor vorrangig männlich. Doch die gesellschaftliche Entwicklung macht auch vor Blue-Collar-Betrieben nicht halt – und Frauen, aber auch Menschen mit den verschiedensten ethnischen Hintergründen, spielen heute eine relevante Rolle in der Belegschaft. Die Konsequenz: zunehmend mehr Diversity-Initiativen.

Neue Zielgruppen erschließen

Gerade Themen wie multikulturelle Zusammensetzungen von Teams, soziale Herkunft der Beschäftigten oder Altersdiskriminierung gibt es in Blue Collar Unternehmen häufig, sagt Peter Rieder, Gründer von Diversity Think Tank Consulting. Seine Firma begleitet Unternehmen bei der Erarbeitung und Umsetzung von Diversity-Management-Strategien und bieten Trainings, Seminare und E-Learnings zu Diversity an – von Gleichbehandlung über die Vermeidung von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz und Generationenthemen bis zu Unconscious Bias und Inclusive Leadership. „Für Betriebe – auch in den Blue-Collar-Bereichen – ist es schwer geworden, ausreichend Personal zu finden, weshalb Diversity-Themen und die Förderung von lebenswerten Arbeitsplätzen eine größere Rolle spielt“, so Peter Rieder.

Karl-Heinz Strauss, PORR-CEO

“Es zeigt sich immer wieder, dass Baustellen, auf denen Männer und Frauen arbeiten und Junge und Ältere, besonders gut funktionieren.”

 

Lange wurde Diversität vor allem mit Frauenförderung und Geschlechtergleichstellung assoziiert, betont Susanne Hamscha, Managing Partner der auf Diversity spezialisierten Beratungsagentur factor-D. Doch Diversity ist nicht nur ein „Gerechtigkeitsthema“, sondern bringt zahlreiche ökonomische Vorteile mit sich, sagt sie. „Dieses Bewusstsein wächst in Blue-Collar-Unternehmen, die sich auch durch EU-Verordnungen wie die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) dazu gezwungen sehen, sich mit Diversity auseinanderzusetzen. Hinzu kommt der Arbeitskräftemangel, der dazu führt, dass man neue Zielgruppen erschließen will.

Regelmäßige Equal Pay-Analysen

Damit die Bemühungen erfolgreich sind, muss die Geschäftsführung kommunizieren können, warum die Beschäftigung mit Diversity relevant ist, sich selbst mit diesem Thema auseinandersetzen sowie Ressourcen zur Verfügung stellen“, gibt Susanne Hamscha zu bedenken. In der Kompetenzentwicklung von Führungskräften sollte das Führen von diversen Teams durch Sensibilisierungsmaßnahmen berücksichtigt werden „Initiativen für Mitarbeitende müssen Arbeitsbedingungen wie Schichtbetrieb berücksichtigen, leicht in den Arbeitsalltag integrierbar sein und Bezug zur täglichen Praxis haben.“

Das Bauunternehmen PORR etwa setzt auf die Initiative Women@PORR, die Mentorings, Möglichkeiten zum Netz werken und Workshops von Frauen für Frauen bietet. Außerdem werde systematisch daran gearbeitet, sagt PORR-CEO Karl-Heinz Strauss, indem eine jährliche Equal Pay-Analyse durchgeführt und das Karenzmanagement überarbeitet wird „Wir schulen – von den Lehrlingen bis zur Bauleitung – unsere Mitarbeitenden zum Thema Vielfalt: Was es bedeutet, was von ihnen erwartet wird. Das geschieht sowohl persönlich als auch digital: Gruppenweit haben wir heuer erstmals ein E-Learning zu Diversity & Inclusion in allen Landessprachen unserer sieben Heimmärkte zur Verfügung gestellt.“

Mädchen für Technik begeistern

Maria Koller, Chief Human Ressources Officer (CHRO) bei Palfinger, berichtet, dass in vielen Köpfen immer noch die Gleichung „Maschinenbau- und Technologieunternehmen = männliches Team“ gilt, weshalb es ein Umdenken brauche. Bei den Techniklehrlingen hat das oberösterreichische Unternehmen, global tätiger Produzent von Kran- und Hebelösungen, bereits eine Frauenquote von 25 Prozent. „Das ist zwar großartig“, sagt Maria Koller, „aber da geht noch mehr. Frauen trauen sich oft weniger zu, als sie tatsächlich können, weshalb man sie fast zu ihrem Glück ,zwingen‘ muss. Entsprechend haben wir unsere Recruiting- und Promotion-Prozesse danach ausgerichtet, unser Team vielfältiger zu machen.“ Palfinger unterstützt deshalb gezielt Bildungs- und Technikinitiativen für Mädchen wie MINTALITY und die MINT Girls Challenge, um Mädchen möglichst früh für technische Berufe zu begeistern.

Christine Epler, Diversity Beauftragte DB

“Die DB ist ein Spiegelbild unserer Gesellschaft − bei uns arbeiten Menschen mit über 100 Nationalitäten und vier Generationen.”

 

Auch bei der Deutschen Bahn (DB), mit rund 230.000 Mitarbeitenden eines der größten deutschen Unternehmen, spielt Diversity eine relevante Rolle, denn hier arbeiten Menschen aus über 100 Nationen. Bei der DB ist man davon überzeugt, dass Vielfalt die Innovationsfähigkeit des Unternehmens fördert, Personalgewinnung und Mitarbeitendenbindung stärkt und mehr Nähe zu den Kund:innen bringt. „Wir setzen uns aktiv für eine Vielfalt der Geschlechter, Generationen, ethnischen und sozialen Herkünfte, Religionen, sexuellen Orientierungen, geschlechtlichen Identitäten, physischen wie psychischen Fähigkeiten, Lern- und Arbeitsstile, Werte und Erfahrungen ein“, sagt Diversity-Beauftragte Christine Epler.

Allein in Deutschland arbeiten mehr als 56.000 Frauen für die Deutsche Bahn (DB). Damit sind etwa 24 Prozent aller Beschäftigten der DB weiblich.

Eine diverse Organisation, ist sie überzeugt, bewältigt Krisen effektiver und reagiert schneller auf Veränderungen, wobei inmitten der komplexen Herausforderungen der strukturellen Sanierung der DB-Vielfalt die kreative Energie für innovative Lösungen liefere. „Sie stärkt die Resilienz unserer Teams und unterstützt unser Ziel, die DB widerstandsfähig und kundenorientiert zu gestalten.“

Das Potenzial wertschätzen

So viele Chancen Diversity-Bemühungen in Blue Collar Unternehmen auch bieten, so vielfältig sind die Herausforderungen. Eine ist oft der kulturelle Wandel innerhalb der Organisation, sagt Mareike Brockmann, Head of Diversity Management bei der VW Gruppe: „Kulturelle Veränderungen brauchen strukturelle Maßnahmen, das Engagement vielfältiger Teams und Führungskräfte, die das Potential ihrer Mitarbeitenden wertschätzen und fördern. Das ist für uns der Ansatz, wie wir die volle Leistungsfähigkeit und Kreativität von Volkswagen Group nutzen können.“ Diversity ist bei VW in der Unternehmensstrategie als Fokusthema für soziale Nachhaltigkeit fest integriert, berichtet Beate Brandes, ebenfalls Head of Diversity Management. Neben verschiedenen Initiativen verweist sie auf das Schulungsformat „Diversity Wins“: „94 Prozent der Führungskräfte haben an dem Programm teilgenommen. Es beinhaltete themenspezifische Trainings für Führungskräfte – vom Meister bis zum Top-Manager.“

Peter Rieder, Diversity Think Tank

“Die Menschen müssen verstehen, worum es bei Diversity geht und was sie davon haben.”

 

 

Bei Bosch wiederum liegt ein Fokus darauf, Diversity auch in Geschäftsprozessen zu integrieren und eine positive Haltung gegenüber Vielfalt, Chancengleichheit und Teilhabe im Bewusstsein aller Mitarbeitenden und Führungskräfte zu verankern, heißt es aus dem deutschen Technologiekonzern: Darüber hinaus hat Bosch in seinem ,Code of Conduct‘ festgeschrieben, dass das Unternehmen keine Form von Diskriminierung, Mobbing oder Belästigung gegenüber Mitarbeitenden duldet.“

Der oberösterreichische Kranbauexperte Palfinger setzt darauf, junge Frauen schon früh für Technik zu begeistern.

Möglichst viele Zielgruppen erreichen

Susanne Hamscha von factor-D sagt, dass demographischen Herausforderungen leichter begegnet werden kann, wenn man als Arbeitgeber attraktiv für möglichst viele Zielgruppen sei. Aber auch Entwicklung und Produktion würden enorm profitieren, wenn vielfältige Perspektiven und Lebenserfahrungen in der Belegschaft vorhanden seien: „Die größte Herausforderung ist die Veränderung an sich: gewohnte Strukturen und Prozesse zu hinterfragen und gegebenenfalls anzupassen, kann schwerfallen. Zudem kann Vielfalt zu Konflikten führen, wenn sie nicht gut gemanagt wird.“

Susanne Hamscha, factor-D

“Diversity ist nicht nur ein ,Gerechtigkeitsthema‘, sondern bringt zahlreiche ökonomische Vorteile mit sich.”

 

 

Peter Rieder von Diversity Think Tank empfiehlt, das Thema Diversität auf „passender Flughöhe“ zu kommunizieren. Die Menschen müssen verstehen, worum es geht und was sie davon haben. „Oft wird dies nicht beachtet und Diversity-Aktivitäten werden als etwas abgetan, ‚was die im Elfenbeinturm sich überlegt haben‘. Wir haben sehr unterschiedliche Niveaus formaler Bildung, aber auch oft Beschäftigte aus vielen verschiedenen Kulturen, wo es in einigen nicht üblich ist, Menschen zu erziehen, Dinge zu hinterfragen.“ Doch genau darin, ist der Experte überzeugt, liege die Chance: Wenn es gelingt, lebenswerte Arbeitsplätze, an denen man sich respektvoll begegnet, zu schaffen, „würden vor allem auch Blue-Collar-Beschäftigte profitieren.

Text: Sandra Wobrazek

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