Laut einer dieser Tage publizierten Studie, die Ketchum in Kooperation mit weconomy zum Thema „Allyship“ durchgeführt hat, würden 52 Prozent aller Männer einschreiten, wenn ein Mitarbeiter in Anwesenheit einer weiblichen Kollegin einen sexistischen Witz macht. Ist das eine gute oder eine schlechte Zahl?
Manisha Joshi: Für mich ist dies eine schockierende Zahl. Und es wird noch dramatischer: Denn, wenn keine weibliche Kollegin anwesend ist, sind laut unserer Umfrage nur mehr 29 Prozent bereit, einzuschreiten. Ich wünsche mir mehr Mut zur Unterstützung und Solidarität, nicht nur von unseren männlichen Kollegen – sondern von allen. Gleichberechtigung und Fairness am Arbeitsplatz geht uns alle etwas an und ist nicht lediglich ein „Frauenthema“.
Kuntal Baveja: Gleichzeitig zeigt die Zahl von 52 Prozent der Männer, die bei sexistischen Witzen einschreiten würden, dass das Bewusstsein vorhanden ist, aber auch, dass es noch viel Raum für Verbesserungen gibt. Eine ideale Zahl wäre nahe 100 Prozent, was darauf hindeutet, dass Verbündete und Peer-Unterstützung weit verbreitet sind.
Sonja Wehsely: Jeder Mann, der am Arbeitsplatz einen sexistischen Witz gegen eine Kollegin toleriert, ist einer zu viel. Als Mann muss ich verstehen, dass ich eine aktive Rolle bei der Gleichstellung von Frauen und Männern am Arbeitsplatz habe. Ein „Male Ally“ ist nicht einfach jemand, der hinterher sagt: „Das war jetzt echt nicht ok.“ Er hat den Mut, in die Selbstreflexion zu gehen, eigene Denkmuster und Verhaltensweisen zu hinterfragen und bezieht rechtzeitig Stellung. Er hat auch den Mut, als Zeuge eines sexistischen Witzes Partei zu ergreifen, aufzuklären und den Bias im Verhalten des Kollegen anzusprechen. Und: Er hat den Mut, sich in Programmen zur Gleichstellung der Geschlechter zu engagieren, als Coach, Mentor oder Sponsor aktiv zu werden.
„Jeder Mann, der am Arbeitsplatz einen sexistischen Witz gegen eine Kollegin toleriert, ist einer zu viel.“
Sonja Wehsely
In derselben Studie gaben 60 Prozent der Befragten an, dass es an ihrem Arbeitsplatz Initiativen gibt, um auf Gleichberechtigung aufmerksam zu machen. Dennoch kommt das Thema nur schleppend voran. Die häufigsten Ursachen?
Kuntal Baveja: Wir brauchen eine entsprechende Unternehmenskultur, die es ermöglicht, solche Bewusstseinskampagnen auch zu leben. Bei Novartis haben wir hierfür auch einen anonymen Raum mit dem sogenannten „Speak up“-Programm zur Verfügung. Dieses Programm ermöglicht es allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Fehlverhalten aufzuzeigen, denn manchmal ist es schwierig, ein ungebührendes Verhalten zu adressieren, wenn es zum Beispiel die eigene Führungskraft betrifft. Das Tool ist das eine – und die entsprechende Bearbeitung solcher Fälle und die transparente Kommunikation über Konsequenzen für denjenigen der sich falsch verhalten hat, ist ein zweiter wesentlicher Faktor.
Sonja Wehsely: Auf dem Weg zur Gleichberechtigung reichen „softe“ Angebote und Einladungen oft nicht. Bei Siemens Healthineers haben wir zum Beispiel eine Quote für den Frauenanteil im Senior Management festgelegt, verpflichtende Unconscious-Bias-Trainings für Führungskräfte und auch klare Regeln zur Sicherstellung von Geschlechtergerechtigkeit bei der Nachfolgeplanung. Bei Bewerbungsgesprächen sind divers besetzte Teams verpflichtend, Job Sharing in Führungsrollen sorgt für Vorbildwirkung. Aus meiner Erfahrung als Frau und ehemalige Politikerin weiß ich: Das stärkste Mittel gegen strukturelle Benachteiligung ist die Quote – sie bricht verkrustete Strukturen in unserer Gesellschaft auf. In unserem Unternehmen liegt zum Beispiel ein expliziter Schwerpunkt der Nachhaltigkeitsstrategie auf der Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen. 2025 wird der Anteil von Frauen im Senior Management bei 30 Prozent liegen.
„Manchmal ist es schwierig, ein ungebührendes Verhalten zu adressieren – etwa, wenn es die eigene Führungskraft betrifft.“
Kuntal Baveja
In Diskussionen hört man oft, dass Männer – hinter den Kulissen – genervt seien vom Gleichberechtigungs-Thema. Stimmt das?
Manisha Joshi: Ich bekomme immer mehr das Gefühl, dass beim Gleichberechtigungsthema nicht die Geschlechter zusammenstoßen, sondern die Generationen. Zum ersten Mal gibt es fünf Generationen in der Belegschaft: Generation Z, Millennials, Gen X, Baby Boomers und Traditionalist*innen. Dies bedeutet unterschiedliche Wertesysteme und unterschiedliches Wissen. Die junge Generation ist wesentlich sensibilisierter, wenn es um systematische Diskriminierung geht. Was vor zehn Jahren noch als Männerwitz abgetan wurde, wird heute als klar sexistisch erkannt und verurteilt. Die Jungen sind nicht mehr bereit, Ungerechtigkeiten hinzunehmen – und das ist gut so.
Kuntal Baveja: Ich nehme diese Kritik an den Männern so nicht wahr, denn ich lebe und arbeite in einem sehr diversen Umfeld und ich sehe täglich die Vorteile eines ausgewogenen und integrativen Arbeitsumfelds.
Sonja Wehsely: Fakt ist, dass Initiativen zur Gleichstellung oft von Frauen getragen werden und sich an Frauen wenden. So entsteht schnell der Eindruck, dass Gleichstellung ein „Frauenthema“ sei und dass Männer – oft die einflussreichsten Stakeholder in unserer Gesellschaft, in unseren Unternehmen – nicht einbezogen werden müssen. Wenn ich als Mann beim Thema Gleichberechtigung eine aktive Rolle habe, mich als „Male Ally“ für Geschlechtergerechtigkeit einsetze, trete ich oft aus der eigenen Komfortzone. Aber was wäre die Alternative? Sich mit Leuten zu umgeben, die so sind wie man selbst – das ist einfach, bringt allerdings keinen Wandel. Vielfalt ist besser als Einfalt.
Ganz allgemein: Wie macht man das Thema „Allyship“ und Inklusion den Männern „schmackhaft“? Nachdem sie die meisten Führungspositionen bekleiden, betrifft die Frage hier eher die Männer …
Sonja Wehsely: Wir müssen mehr Awareness schaffen, dass Gleichberechtigung ein Wettbewerbsvorteil ist – so wie generell Diversität, Chancengerechtigkeit und Inklusion Teams erfolgreicher und resilienter machen. Von anderen Notwendigkeiten, wie einem Forecast-Prozess oder Business Review müssen Männer ja auch nicht überzeugt werden. Es gibt mittlerweile eine Fülle von Studien, die belegen: Unternehmen mit einer vielfältigen Belegschaft und einer inklusiven Kultur sind erfolgreicher. Sie erzielen bessere Ergebnisse, sind innovativer, kundenorientierter und binden ihre Mitarbeitenden länger. Nicht von ungefähr verankern Unternehmen DE&I in der strategischen Planung. In den Köpfen mancher Menschen fehlt dieses Bewusstsein noch.
Kuntal Baveja: Um das Thema Verbündete und Inklusion attraktiver zu machen, ist es wichtig, sich auf die positiven Auswirkungen eines vielfältigen Arbeitsumfelds zu konzentrieren, wie etwa mehr Kreativität, bessere Entscheidungsfindung und bessere Geschäftsergebnisse. Und hierbei sind alle gefordert; aber natürlich im Besonderen Menschen, die Führungsverantwortung tragen.
Wird die Situation automatisch besser, wenn die Boomer in den Führungsetagen und Entscheidungspositionen einmal in Pension sind?
Manisha Joshi: Nichts wird „automatisch“ besser. Wir müssen aktiv dazu beitragen, eine Veränderung hervorzurufen. Jede*r von uns. Sonst führen wir das System weiter. Es braucht von allen mehr Mut zur aktiven Veränderung – bis ganz nach oben. Wir können alle etwas für eine fairere und gerechtere Arbeitswelt der Zukunft beitragen. Es braucht Maßnahmen und Veränderungsfreude. Diversität, Inklusion und Fairness am Arbeitsplatz können wir nur gemeinsam schaffen, deswegen müssen wir im Dialog und nicht in Konkurrenz gehen.
Sonja Wehsely: Das Thema hat nichts Romantisches, es eine Machtfrage. Es geht um Macht und Einfluss in der Gesellschaft. Und die Wirtschaft ist ein sehr wichtiger Teil der Gesellschaft. Wir können daher Gleichberechtigung nicht davon abhängig machen, ob Baby-Boomer in Pension gehen. Genauso wenig verschwindet Ungerechtigkeit, je mehr Zeit verstreicht. Gleichberechtigung ist eine Management-Aufgabe. Nur mit klaren Zielen, Strategien und messbaren Maßnahmen können sich Vielfalt, Gerechtigkeit und Inklusion in einer Gemeinschaft etablieren. Der „Tone from the Top“ im Sinne einer Vorbildwirkung schafft dabei Relevanz und Akzeptanz.
Kuntal Baveja: Tief verwurzelte gesellschaftliche Einstellungen und Strukturen ändern sich nicht mit dem Generationswechsel, sondern durch kontinuierliches Vorleben einer offenen und vielfältigen Weltanschauung. Wie wir uns verhalten, ist somit stark davon abhängig, wie wir aufwachsen, mit welchen Menschen wir maßgeblich unsere Zeit verbringen und wer unsere Vorbilder sind. Daher ist es mir als Vater besonders wichtig, meinen Kindern ein möglichst vielfältiges Aufwachsen zu ermöglichen. Ich darf Ihnen an dieser Stelle ein Beispiel bringen: Meine fünfjährige Tochter war der absoluten Überzeugung, dass Rosa eine Farbe ist, die ausschließlich Mädchen und Frauen vorbehalten ist. Meinem Widerspruch wollte sie nicht glauben. Daher habe ich angefangen, rosa Hemden zu tragen, um ihr zu zeigen, dass ich als Mann auch Rosa tragen kann und darf. Nachdem ich das kontinuierlich mache, ist sie von ihrer Behauptung abgerückt und gesteht auch Buben und Männern zu, etwas Rosarotes haben zu dürfen.
„Die Generation unter 30 sucht sich ihren Arbeitgeber genau aus, und dieser muss fortschrittlich sein.“
Manisha Joshi
Interessanterweise steckt offenbar auch in den meisten Menschen eine Art „Ranking“ der Solidarität: Während sich die meisten Männer (72 %) und Frauen (83 %) für Menschen mit Behinderung einsetzen würden, sinken die Zahlen bereits stark, wo es um homophobe Äußerungen oder das „N-Wort“ geht, und sie halbieren sich beziehungsweise fallen fast auf ein Drittel herunter bei sexistischen Witzen. Was sagt das über unsere Gesellschaft aus?
Kuntal Baveja: Dieses „Solidaritätsranking“ könnte darauf hindeuten, dass einige Formen der Diskriminierung als schwerwiegender angesehen werden als andere und dass die Gesellschaft bei einigen Themen sensibler ist.
Manisha Joshi: Dies sagt aus, dass wir ein starkes Rassismus- und Sexismus-Problem in
Österreich haben. Studien zeigen, Diskriminierung in Österreich geschieht am häufigsten in der Arbeitswelt. Hier können wir als Führungskräfte entgegentreten. Unternehmen müssen stärker Verantwortung übernehmen und den Mut haben, Haltung zu zeigen. Und es lohnt sich! Denn vor allem die Generation unter 30 tickt anders: Die sucht sich ihren Arbeitgeber genau aus, und dieser muss fortschrittlich sein. Nur, wer sich weiterentwickelt, kann also die wenigen jungen Talente, die wir auf dem Markt haben, für sich gewinnen. Dazu gehören Diversity, Gleichberechtigung und soziales Engagement.
Laut Studie zeigen Frauen mehr Solidarität gegenüber Kolleg*innen und schreiten bei Diskriminierung häufiger ein als männliche Kollegen. Entspricht dies Ihrer Wahrnehmung? Wenn ja: Woran liegt das?
Kuntal Baveja: Menschen zeigen sich solidarischer, wenn sie selbst die negativen Auswirkungen von Diskriminierung am Arbeitsplatz beziehungsweise im Leben zu spüren bekommen haben. Deshalb können sie vielleicht empathischer darauf reagieren. Aber das betrifft nicht nur ein Geschlecht. Auch hier kann ich Ihnen ein positives Beispiel von Novartis nennen, denn Diskriminierung darf in unserer Gesellschaft keinen Platz haben – deshalb sind wir sehr stolz darauf, dass wir im März 2023 vom Sozialministerium mit dem Gütesiegel „Wir sind inklusiv“ ausgezeichnet wurden.
Sonja Wehsely: Wie in einer Organisation Solidarität gelebt wird, sagt viel über das Management und dessen Vorbildwirkung aus. Wo Leadership ist, ist auch Solidarität im Unternehmen. Wir Führungskräfte haben die Verantwortung dafür, eine Kultur zu schaffen, in der jede Person dieselben Chancen hat, unabhängig vom Geschlecht. Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe – aber für einfache Lösungen braucht es auch keine Leader.
Zu den Personen:
Sonja Wehsely (53), verantwortet bei Siemens Healthineers als Executive Vice President und Managing Director den Geschäftserfolg in 30 Ländern Zentral- und Osteuropas sowie Zentralasiens. Das Unternehmen, einer der weltweit führenden Medizintechnikkonzerne mit mehr als 70.000 Mitarbeiter*innen in Niederlassungen in mehr als 70 Ländern, punktet mit Internationalität und hoher Innovationskraft. Zuletzt verzeichnete dieses einen Umsatz von mehr als 20 Milliarden Euro. Siemens Healthineers leistet Pionierarbeit im Gesundheitswesen und entwickelt nachhaltige Innovationen im Bereich der Gesundheitsversorgung. Wehsely ist zudem Vorsitzende des globalen Diversity, Equity & Inclusion Boards. Zuvor implementierte sie als Head of Strategy, Business Development, Government Affairs & Policy am Firmensitz in Deutschland eine nachhaltige Wachstumsstrategie für die heterogene Region EMEA (Europe, Middle East, India & Africa). Vor ihrem Wechsel zu Siemens Healthineers 2017 war die Juristin politisch aktiv, zuletzt als Wiener Stadträtin für Gesundheit und Soziales.
Kuntal Baveja (40), ist seit März 2023 Novartis Country President Österreich und leitet alle Novartis Standorte hierzulande. Zuvor arbeitete er die letzten 17 Jahre in verschiedenen Divisionen bei Novartis (Pharma, Vaccines und Sandoz) sowie in mehreren Ländern weltweit (Amerika, Europa und Asien). Zuletzt war er General Manager von Novartis in den Niederlanden, und im Juli 2022 wechselte er als President für Innovative Medicines nach Österreich. Novartis ist Branchenführer in der Produktion von hochwertigen Arzneimitteln und fokussiert auf vier Kerntherapiegebiete: Herz-Kreislauf-, Nieren- und Stoffwechselerkrankungen, Immunologie, Neurologie und Onkologie. Österreich spielt in der Forschung eine ganz spezielle Rolle: Der Tiroler Standort Kundl/Schaftenau unterstützt mit seinen Innovationen die wichtigsten Medikamente von Novartis in verschiedenen Entwicklungs- und Produktionsstadien; der Standort Wien ist zuständig für Business Units und Vertrieb. Novartis Österreich beschäftigt mehr als 3.300 Mitarbeitende und erreicht mit seinen Arzneimitteln rund 870.500 heimische Patient*innen, das entspricht knapp zehn Prozent der österreichischen Bevölkerung. Der Netto-Umsatz hierzulande liegt bei einer Milliarde Euro, die Höhe der Investitionen allein in Österreich betrug zwischen 2015 und 2023 1,8 Milliarden Euro.
Manisha Joshi (33), ist Business Director und Head of DEI bei der führenden Kommunikationsagentur Ketchum. Als Teil des Leadership-Teams übernimmt sie alle Agenden zu Gleichberechtigung, Vielfalt und Fairness. Die Kommunikationsexpertin will Bewusstsein für die homogene heimische Kommunikationsbranche schaffen und Vielfalt in den Arbeitsalltag integrieren. Sie ist halbe Inderin, halbe Steirerin. Als einzige Nicht-Weiße Person am Land aufzuwachsen, prägt. Privat und beruflich wurde ihr oft vermittelt, anders zu sein. Die Diversity-Expertin engagiert sich dafür, dass die österreichische Businesswelt Vielfalt als Chance und klaren Wettbewerbsvorteil wertschätzt. Manisha Joshi berät nationale und internationale Kunden im Bereich Corporate Communications, Brand Communications, CEO Positioning, Employer Branding und wie Diversität als Teil einer holistischen Unternehmensstrategie zum Vorteil aller genutzt werden kann.