Mehr als ein Platz am Tisch

Repräsentation und Inklusion als gelebte Praxis, und nicht als gelegentliche Ausnahme – auch in der Kunst legt das Thema Diversität an Bedeutung zu. Eine kritische Betrachtung von der Kunst-Salonnière und sheconomyArt-Expertin Nicole Adler.

Viel zu oft wird Vielfalt vor allem auf sechs großen Themen reduziert: Geschlecht, Religion (Weltanschauung), Alter, Behinderung, sexuelle Orientierung und Kultur. Diversity Management ist eines der wichtigsten Schlagworte zeitgemäßer Unternehmenskulturen geworden, dessen Potenzial in vielerlei Hinsicht brach liegt und unterschätzt wird.

Diversität ist Alltag und prägt unsere Gesellschaft – ist das Produkt nicht divers, ist es marktwirtschaftlich nicht sinnvoll, weil es die Gesamtheit der Kund*innen nicht abbildet. Aber wie schafft man sich einen echten Zugang zu den feinen Unterschieden jenseits von Geschlecht, Herkunft, sexueller Orientierung oder Alter?

„Ich zucke zusammen, wenn ich Worte wie Vielfalt und Integration höre.” Dieser Satz stammt von der Bürgerrechtlerin, Philosophin und Schriftstellerin Angela Davis. Menschen sind zahlreich auf die Straßen gegangen, um gegen institutionellen und strukturellen Rassismus zu demonstrieren. Zeitungen haben sich dem Thema verschrieben, große Institutionen geloben Verbesserung, es werden massenhaft Diversity- und Inclusion Workshops abgehalten, und es gibt unzählige Diskussion zu dem Thema. Die Wahrheit ist aber, dass es mehr braucht als Phrasen und ein paar Workshops, um gesellschaftliche Veränderung herbeizuführen und sie zu etablieren.

Eva Beresin entdeckt von der Galerie Miryam Charim (Foto) – nun neu in der Sammlung der Albertina Modern, wo ihre Arbeiten ab April 2024 in der Ausstellung „Thick Air“ zu sehen sind.

Kunst als Möglichkeitsraum

Auch, wenn lange nicht alle Gruppen der Bevölkerung gleichermaßen Zugang zu Kultur und deren Häusern haben und in vielen Institutionen Diversity weder in den Programmen noch im Personal, im Publikum oder in der Öffentlichkeitsarbeit gelebt wird, erschließt sich hier doch ein Möglichkeitsraum der Toleranz, Entfaltung, Neugierde und des unvoreingenommenen Miteinanders – mitunter sind diese Faktoren auch ein maßgeblicher Impuls der künstlerischen Praxis.

Doch auch in diesem Milieu braucht es viel Haltungsänderung und kritisches Hinterfragen, unter anderem, welche Rolle „weiße“, tradierte Entscheidungsträger*innen in der Aufrechterhaltung des Systems spielen. Was es dringend benötigt, um Veränderung in der Kunst- und Kulturlandschaft zu etablieren? Etwa den Abbau von Zugangsbarrieren in bestehenden Strukturen, in Programmen und Verfahren der Kulturförderung. Förderung und Sichtbarmachung unterrepräsentierter Künstler*innen – deren Werk und Potenzial. Räume, Sichtbarkeit und Empowerment unter Berücksichtigung der fünf „Ps“: Publikum, Personal, Programm und Partner.

Das MOMA in New York, immerhin das mächtigste Museum der Welt, kann an dieser Stelle als Role Model angeführt werden. Nach seinem Umbau im Jahr 2019 sorgte es mit einer vieldiskutierten Neuausrichtung für Rumor in der gesamten Kunstwelt. Jahrzehntelang den westlichen Kunstkanon bestimmend, wird hier plötzlich ganz viel Kunst von Inder*innen, Lateinamerikaner*innen, People of Color und vor allem von Frauen gezeigt.

Erste Schritte in diese Richtung geht auch die Albertina Modern mit „The Beauty of Diversity“, einer umfangreichen Museumsschau im Frühjahr 2024, und dem Bewusstsein, dass die Albertina über fast drei Jahrhunderte hindurch ausschließlich Werke von weißen Männern gekauft, gesammelt und ausgestellt hat: von Leonardo, Michelangelo undRaffael über Dürer, Rembrandt und Rubens bis Goya, Caspar David Friedrich, Cézanne, Picasso, Schiele, Warhol und Klimt. Das Bild, das die historischen Sammlungen der Albertina prägt, ist ein zutiefst einseitiges. Das 21. Jahrhundert hat den traditionellen Kanon in Schieflage gebracht, einerseits durch die Globalisierung, vor allem aber durch die Gleichberechtigung von zuvor diskriminierten Gruppen.

Verbindung über Grenzen

Mit der Erweiterung und bewussten Diversifizierung musealer Sammlungen geht demnach auch der unbedingte Anspruch nach Gleichberechtigung und der Veränderung des Status quo einher. Die Vielfalt künstlerischer Herangehens- und Ausdrucksweisen, die stilistischen sowie inhaltlichen Zugänge und Perspektiven stellen nicht nur eine Erweiterung, sondern vor allem eine Bereicherung des kunsthistorischen Kanons dar und sollen so auch das Publikum zum Nachdenken, Neudenken und zur Horizonterweiterung anregen. Mit diesem kuratorischen Anspruch werden in der Albertina Modern klare Zeichen gesetzt. Eine Ausstellung, die sowohl die Vielfalt der Identitäten und Kunstformen als auch der Materialien und Geschlechter in den Fokus rückt und auch ein Augenmerk auf Außenseiter*innen und bislang wenig beleuchteten Positionen legt.

Auch die Kunstmesse viennacontemporary setzte sich in ihrer letzten Ausgabe
mit der Frage auseinander, wie Kunst Menschen über Grenzen und Staatsbürgerschaften hinweg miteinander verbindet und speziell dort als Sprachrohr und Ermächtigungsmittel dient, wo Menschen keine politische Macht haben. In einer Sonderausstellung und einer international besetzten Diskussionsreihe wurde Kunst von geflüchteten, migrierenden, zwischen den Kulturen stehenden oder temporär ansässigen Personen eine Bühne geboten.

„Kunst ist international, grenzenlos, dauerhaft nomadisch und aktivistisch. Sie hat eine unvergleichliche Macht, Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt zusammenzubringen“, sagt Yana Barinova, die bis zum Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine Direktorin der Kulturabteilung von Kiew war und 2022 nach Wien flüchten musste, wo sie das Projekt bei der viennacontemporary initiierte und leitete. „Oft ist Kunst die Grundlage für die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Nationen, selbst wenn wir in anderen Bereichen unterschiedlicher Meinung sind“, so Barinova, die mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung auch Sprecherin beim Europäischen Forum Alpbach 2023 war.

Diese Art von Kunstprojekten und Ausstellungen sind unter anderem deshalb so bedeutsam, weil sie nicht nur People of Color, Flinta-Personen oder Außenseiter ins Zentrum rücken, sondern alle, die es gewohnt sind, Räume zu betreten, in denen sie selbst die Objekte, aber selten die Künstler*innen oder Kurator*innen sind. Räume, in denen sich viele Menschen nicht willkommen fühlen oder schlicht nicht vorkommen.


Künster*innen mit eigenem Zugang zu Diversität

Jakob Lena Knebl & Ashley Hans Scheirl

Die Künstler*innen treten in einen Dialog miteinander, der auf der Vorsilbe „trans“
basiert: transmedium, transgenre, transmateriality, transcontext – ein spielerischer Austausch zwischen zeitgenössischem Schaffen und der Geschichte von Kunst und Design, der die Idee der Identität als Ganzes dekonstruiert: vom Manierismus zum Surrealismus, von der dunklen Romantik zum Biomorphismus und von der Moderne zur Postmoderne, die sich auf eine Zukunft der kybernetischen Existenz öffnet. Einer breiteren Öffentlichkeit wurden sie bekannt durch ihre Ausstellung im Österreich-Pavillon bei der Biennale in Venedig 2022 (aktuelle Ausstellung im Palais de Tokyo).

Eva Beresin

Österreichische Künstlerin, deren Figurenrepertoire sich aus der grotesken Malerei speist. Ihre Arbeiten wurden jüngst von der Albertina Modern erworben.

Alexandre Diop

Franco-senegalesischer Künstler, der in Assemblagen die ästhetischen Traditionen von Expressionismus, Dadaismus und Graffiti Art verbindet und in Österreich lebt. Auch von ihm erwarb die Albertina eine Arbeit.

Soli Kiani

In Österreich lebende Künstlerin aus dem Iran – politisch feministische Künstlerin. Ihre Arbeiten sind aktuell im Künstlerhaus „Systemrelevant“ zu besichtigen.

Samira Homayouni
Junge Künstlerin aus dem Iran, in Österreich lebend, gerade eine Ausstellung im STRABAG Forum.

Belinda Kazeem-Kaminski

Female/ people of color, gerade mit dem Otto-Mauer-Preis 2023 ausgezeichnet.

Anouk Lamm Anouk

Queer / Lesbian Identity – ihre Arbeiten drehen sich um dieses Thema und sind längst international gefragt.

Michaela Schwarz-Weismann

Österreichische Künstlerin mit hohem feministischem Anliegen. Zuletzt waren ihre Arbeiten in der Villa Mauthner mit einer Einzelausstellung zu sehen.

Kennedy Yanko

Female / people of color. Internationaler Shooting Star. Arbeiten werden bei der „The Beauty of Diversity“-Schau im Februar 2024 (Albertina) zu sehen sein.

Lilli Reynaud Dewar

Französische Performance & Installationskünstlerin – derzeit auch mit einer großen Ausstellung im Palais de Tokyo.

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