Im Sacher herrscht um 10:00 Uhr Vormittag ein reges Kommen und Gehen. Jeannice Samani wirkt auf ihrem Samt-Fauteuil in der Lobby ein wenig irritiert vom geschäftigen morgendlichen Treiben rund um sie herum. Kein guter Platz für ein Interview. Zum Glück hat das Personal ein Einsehen und lässt uns im Sacher Wintergarten mit Blick auf die Oper Platz nehmen. Hier ist es angenehm ruhig. Ruhig genug, um der Technologie-Vordenkerin und langjährigen Delegierten des US State Department in Sachen Bildung ein paar wichtige Fragen zu stellen.
Samani begann bereits im zarten Alter von 13 Jahren zu programmieren. Das frühe Interesse kumulierte in einem Ph.D. in “Technology Management”. Darauf folgten post-doc Forschungsarbeiten an renommierten Institutionen wie Stanford und MIT und diverse Führungspositionen bei Unternehmen wie Cisco Systems. Eine Tracklist, die ziemlich beeindruckt und neugierig macht.
Dr. Samani, Sie sind eine große Befürworterin der Idee, dass Technologie der große Gleichmacher sein könnte, den wir für eine gerechtere Gesellschaft brauchen. Wie kommen Sie zu diesem Schluss?
Jeannice Samani: Es gibt Länder, die durch den Einsatz von Technologie, unabhängig von ihrer Wirtschaftskraft und ihrem BIP, gerade einen großen Entwicklungssprung machen. Warum? Weil sie die komplexen Zwischenschritte, die zum Beispiel das Silicon Valley machen musste, einfach auslassen können. Das hat einen Paradigmenwechsel eingeläutet. Geografische und wirtschaftliche Barrieren können überwunden werden.
Technologie hat das Potential uns den Weg in eine Zukunft zu ebnen, in der niemand zurückgelassen wird. Sie kann als Katalysator zur Stärkung von marginalisierten und benachteiligten Gruppen dienen. Bildungsinitiativen, die sich auf die Entwicklung digitaler Kompetenzen und den Zugang zu neuen Technologien konzentrieren, werden hier in Zukunft eine ganz wichtige Rolle spielen. Egal ob entwickeltes Land oder Entwicklungsland, der Einsatz von Technologie gibt Menschen die Möglichkeit schneller, effizienter und produktiver voranzukommen.
Aber das Problem ist doch, da gibt es diese große technologische Kluft, sowohl zwischen einzelnen Nationen und Kulturen, aber auch auf individueller Ebene. Wie kann es gelingen, diese “Digital Divide”, wie Sie es nennen, zu überbrücken? Weil: Wenn wir über KI sprechen, dann muss man einschränken, dass die KI immer nur so gut ist, wie die Daten, mit der sie gefüttert wurde. Wenn es eine Bias in den Daten gibt …
J.S.: Sie haben völlig Recht. Deshalb ist es unglaublich wichtig, eine Vielfalt an Menschen in Entwicklerteams zu haben, mit vielen unterschiedlichen Dimensionen wie Geschlecht, Alter, ethnische Zugehörigkeit, sozialer Herkunft. Nur dann sind wir in der Lage, Algorithmen so zu programmieren, dass sie die Ideen, Eigenheiten und Werte aller Menschen mit einbeziehen und uns den Nutzen bringen, den sich jeder wünscht: Lebensqualität. Im Grunde streben wir doch alle nach der gleichen Sache, einer gerechteren globalen Gesellschaft.
Ich bin überzeugt, dass Parität erreichbar ist, auch wenn aktuell noch viele Ungleichheiten überwunden werden müssen. Als Spezies haben wir noch Arbeit vor uns. Aber: Die bestehenden technologischen Biases haben immerhin zu einer Art Erwachen geführt.
Eine Frage, die mich im Kontext von AI wirklich beschäftigt, ist, ob wir das Rennen nicht längst verloren haben. Die Kluft zwischen den Menschen können wir vielleicht noch schließen, aber was ist mit jener zwischen uns und der Künstlichen Intelligenz?
J.S: Ich bin eine Optimistin, wenn es um AI geht. Künstliche Intelligenz ist ein unglaubliches Werkzeug, das uns große Entwicklungssprünge ermöglicht. Aber der Mensch hat immer noch die Kontrolle und unterm Strich gibt es etwas, das keine KI kann: die einzigartige emotionale Verbindung zwischen Individuen. Egal welcher Algorithmus, diese Verbindung wird er nie erreichen.
Stichwort Werte. Damit verhält es sich ja häufig so, dass diese vor allem auf dem Papier gut wirken. Aber in der Realität zählt aus Unternehmenssicht primär der finanzielle Gewinn, der Business Case. Wo stehen wir hier?
J.S.: Interessant, dass Sie nach einem Business Case fragen. Ich habe darüber nachgedacht, wie man den Nutzen von Vielfalt noch besser quantifizieren könnte. Wenn man Diversity einen Geldwert zuweist, egal ob Dollar oder Euro, dann entsteht daraus schnell eine sehr emotionale Dynamik. Investiere ich in eine Sache, weil ich Gutes tun will? Oder investiere ich, weil meine Margen dann hoch sein werden?
Als Teil des Speaker Programms des Bureau of Educational and Cultural Affairs bringe ich – so hoffe ich doch – einen Wert mit, der sich durchaus quantifizieren lässt. Ich schenke den Student:innen eine Zukunftsperspektive, ich gebe ihnen Hoffnung und zeige ihnen die vielen Entwicklungsmöglichkeiten, die sich durch neue Technologien wie zum Beispiel Quantum Computing auftun. Können wir dem eine Zahl verpassen, eine 10, eine sieben oder eine fünf? Warum nicht! Und ich hab das versuchsweise auch schon getan. Ich glaube, das macht Sinn.
Sie haben ein Bildungsprogramms mit dem Titel “Fifth Wave STEaM Academy” initiiert und dazu nun auch ein Buch geschrieben. Was steckt dahinter?
J.S.:Wir stehen aktuell an der Schwelle eines neuen technologischen Zeitalters, dem fünften seit der Industriellen Revolution, daher der Name. Ziel des Programms ist es, Bevölkerungsgruppen eine Zugang zu Wissenschaft, Technologie, Ingenieurwesen, Kunst und Mathematik (engl. STEaM) zu verschaffen, die bis dato unterrepräsentiert waren. Kurz: Wir wollen MINT-Karrieren fördern. Mir geht es darum, die nächste Generation für die kommenden Herausforderungen wie den Klimawandel zu rüsten. Und dabei habe ich mich gefragt, welche Charaktereigenschaften in der Zukunft besonders wichtig sein werden. Neugier ist eine davon, aber auch Anpassungsfähigkeit und der Wille, sich ständig weiterzuentwickeln.
Um nochmals auf das Thema KI zurückzukommen. Niemand sollte sich davor fürchten. Ich rate meinen Schüler:innen: Bringt euch in die Debatte ein! Das Spannende ist, die Technologie formt sich ja erst gerade aus. Nur wer mit am Tisch sitzt, kann Teil der Entwicklung sein. Und: Wenn ihr nicht an den Tisch eingeladen werdet, dann ladet euch selbst ein! Klopft an die Tür. Manchmal müsst ihr nicht einmal klopfen, sondern die Tür einfach aufmachen und eintreten. Und wenn niemand im Raum ist, dann – ratet mal – erschafft euer eigenes Ökosystem! Das ist eine meiner ganz zentralen Botschaften.