DE& wie, bitte?!

Überall liest und hört man von "DE&I". Doch was verbirgt sich genau dahinter? Expertin Julia Kreyler-Valsky, Jurymitglied unserer Diversity Leaders Challenge, liefert fundierte Antworten zu den häufigsten Fragen rund um das Thema.

1) Was ist mit DE&I genau gemeint? Was ist der Unterschied zwischen Diverstität und Inklusion? Und ist DE&I gekommen, um zu bleiben?

DE&I ist ein Akronym von Diversity, Equity & Inclusion. Diversität bedeutet nichts anderes als Heterogenität, also Vielfalt. Diese Vielfalt kann man einerseits anhand soziodemografischer Merkmale definieren, also z.B. Geschlecht, Alter, Herkunft oder sexuelle Identität. Andererseits geht es immer auch um kognitive Diversität, also Vielfalt in Bezug auf Perspektiven und Problemlösungsstrategien. Der Begriff Equity bezieht sich auf die Möglichkeit gerechter Partizipation und echter Chancengleichheit.

Inklusion bedeuten hingegen, das der Diversität innewohnende Potenzial zu nutzen. Inklusion ist ein Prozess, in dem eine Organisationskultur etabliert wird, die es allen Menschen in ihrer Individualität ermöglicht zu wachsen – beruflich wie auch persönlich. Es hat sehr viel mit psychologischer Sicherheit zu tun und der Abwesenheit von Angst vor Repression, wenn ich offen die eigene Meinung sage. Die Kraft einer inklusiven Organisationskultur ist enorm, und hier gibt es mittlerweile auch sehr viel Evidenz dazu, das reicht von gesteigertem Innovationspotenzial von Teams bis hin zu besseren finanziellen Ergebnissen.

Ich bin zu 100% sicher, dass Inklusion gekommen ist, um zu bleiben. Unternehmen agieren heute in einem enorm vielfältigen, disruptiven und komplexen Umfeld. Es gilt, diese Vielfalt zu verstehen, widerzuspiegeln und anschlussfähig zu sein. Antworten zu finden, die nicht „same old, same old“ sind – das schafft man am besten mit diversen Teams. Abgesehen davon ist es heute für die Employer Brand jedes Unternehmens entscheidend, sich im Feld DE&I zu positionieren. Gerade für junge Talente ist der inklusive „footprint“ ein ganz entscheidender Faktor, sich für oder gegen einen künftigen Arbeitgeber zu entscheiden.

3) Mein Unternehmen möchte Maßnahmen im Feld DE&I setzen. Doch wir wissen nicht, wo wir am besten anfangen sollen. Was tun?

Start at the beginning, soll heißen: Rein in die Bestandsaufnahme und, wo möglich, in die Datenanalyse. Welche Rolle spielte DE&I in der Historie des Unternehmen, welche Akteur:innen gibt es? Als erster Schritt empfielt sich immer eine Analyse dessen, was bisher geschah. Danach gilt es, eine DE&I Vision zu formulieren, die Strategie zu erarbeiten und Maßnahmen abzuleiten. Ganz entscheidend ist die Frage der DE&I Governance, also Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten, Reporting Lines und auch Konsequenzmanagement zu definieren. In der Umsetzung gilt – wie in anderen Businessbereichen auch: Walk the talk!

4) Ist DE&I eine Aufgabe des HR-Managements im Unternehmen?

Ja und nein – denn einerseits implementieren wir regelmäßig Maßnahmen, die seitens HR aufzugleisen bzw. zu steuern sind. Andererseits ist Inklusion eine genuine Querschnittsmaterie, soll heißen: es betrifft alle Bereiche einer Organisation, von der Strategie zur Kommunikation, von Marketing zu Sales. Deshalb empfehlen wir einen Prozess, den wir „Inclusivity Mainstreaming“ nennen, eine Prozessanalyse aller Unternehmensbereiche und die Schaffung inklusiver Strukturen an den entscheidenden Punkten. Außerdem geht es immer auch darum, ein inklusives Mindset im Führungsteam zu schaffen, wieder quer über alle Geschäftsbereiche.

5) Sind Frauenquoten eigentlich noch sinnvoll? Sind Quote an sich nicht eine Beleidigung für Minderheiten?

Frauen machen in vielen Unternehmen einen großen Teil der Mitarbeitenden aus, aber nur einen Bruchteil der Führungsriege. Das ist weder fair noch logisch, noch ökonomisch sinnvoll. Unternehmen postulieren oft, die besten Köpfe zu befördern, doch unbewusste Vorurteile, intransparente Karrierewege und mangelnde Vereinbarkeit von Beruf und Familie gehen klar zulasten von Frauen. Es braucht unserer Erfahrung nach ein Bündel an abgestimmten Maßnahmen, um die Zahl der Frauen im Spitzenmanagement nachhaltig zu erhöhen.

Die Quote ist eine davon, wobei: Wir sprechen lieber von „Zielwerten“ als von Quoten, denn interessanterweise ist das Wort „Quote“ bereits unglaublich negativ besetzt. Und Zielvorgaben gibt es ja in jedem anderen Businessbereich auch, da ist DE&I somit keine Ausnahme. Natürlich macht es Sinn, sich Ziele zu stecken, warum nicht? If you can’t measure it, you can’t manage it, heißt es doch so schön. Ziele ermöglichen auch, Fortschritt und Stagnation zu messen und dann entsprechend zu reagieren.

6) Muss ich alle Diversitätsdimensionen behandeln, um erfolgreich DE&I zu managen?

Hier würde ich sagen: less is more. Gerade am Anfang ist es meist besser, sich auf weniger Dimensionen bzw. Handlungsfelder zu konzentrieren, die dafür aber hoch qualitativ zu bearbeiten. Es kommt sehr auf die Organisation an, welche Themen das sind bzw. sein sollten. Eine fundierte Analyse bietet hier quasi einen „Kompass“ und zeigt auf, in welche Richtung man am besten lossteuert.

7) Was sind die 3 wichtigsten Schritte, wenn ich ein erfolgreiches DE&I Management starten möchte?

Take a step back. Anstatt eines „action bias“ und der sofortigen Maßnahmensetzung, quasi im Blindflug, ist es zentral, in die Analysephase zu investieren, Daten zu sichten, das Thema D&I im Gedächtnis und Kontext der Organisation zu beleuchten. Danach sollte eine umfassende Strategie erarbeitet werden, idealerweise zusammen mit den zentralen Stakeholdern in der Organisation. Erst dann geht es darum, kurz-, mittel- und langfristige Maßnahmen auf einer Roadmap zu verorten.

Be inclusive. Bei der Ausrollung der Maßnahmen ist es unserer Erfahrung nach enorm wichtig, selbst inklusiv zu sein, soll heißen: viel kommunizieren, das „why“ von DE&I zu erklären, möglichst viele Mitarbeiter:innen mitzunehmen und auch Formate für die so wichtige Zielgruppe der Führungskräfte in Unternehmen zu erarbeiten.

Keep going. Auch wenn es in fast allen Unternehmenskontexten möglich ist, „low-hanging fruits“ recht kurzfristig zu ernten und erste Erfolge einzufahren, ist immer ein langer Atem notwendig, um Inklusion zu treiben. Manchmal mag es sicher auch Rückschläge geben oder Menschen, die einfach nicht überzeugbar sind; das ist ok, die DE&I Reise gleicht eher einem Marathon anstatt einem Sprint auf der Kurzstrecke.

8) Welche Fehler sollte man vermeiden, wenn man DE&I im Unternehmen vorantreiben will?

Beware of the action bias: Es mag verlockend sein, gleich mal Maßnahmen auf den Boden zu bringen. Wenn sie nicht strategiegeleitet und idealerweise evidenzbasiert sind, birgt das aber so manche Gefahr, beispielsweise kann Unglaubwürdigkeit zu einem echten Reputationsrisiko werden.

Individual focus: Viele Organisationen setzen primär Maßnahmen, die die Lösung für so manche DE&I Problematik auf der Ebene des Individuums verorten, beispielsweise Schulungen oder Trainings. Das ist aus unserer Sicht nicht per se schlecht, reicht aber nicht aus. Denn sehr oft liegt das Problem in Strukturen und Prozessen, die Ungleichheit reproduzieren. Es gilt, diese zu identifizieren und zu verändern – auch, wenn das oft mehr „weh tut“ als der Fokus auf das Individuum, es ist jedenfalls der nachhaltigere Ansatz.

The DE&I manager’s dilemma: Auch wenn es grundsätzlich super ist, wenn Unternehmen eine für DE&I zuständige Stelle, Abteilung oder Person haben – oft wird diese dann zum „Feigenblatt“ und Grund für den Rest der Organisation, sich was dieses Thema betrifft zurückzulehnen. Daher ist es unserer Erfahrung nach enorm wichtig, DE&I in alle relevanten Bereiche der Organisation zu mainstreamen. Folglich sollte auch Beharrungsvermögen, ein langer Atem und kommunikative Kompetenz inhärenter Bestandteil des Kompetenzprofils der bzw. des DE&I-Verantwortlichen sein.

9) Was ist evidenzbasiertes Diversitätsmanagement? Und wie können mir Daten helfen, um meine DE&I Ziele zu erreichen?

Im evidenzbasierten DE&I Management arbeiten wir experimentell und nutzen Daten für die Analyse des Status quo, für die Auswertung bestimmter getroffener Maßnahmen sowie als Basis für die Strategieentwicklung. Ein Datum kann vieles sein, etwa gestiegene Verkaufszahlen in einer bestimmten demografischen Gruppe, Einstellungs- und Erfahrungswerte von Personen, erhoben in Befragungen, qualitativen Interviews oder Fokusgruppen, oder numerische Häufigkeiten erhoben in HR-Data-Abteilungen, etwa Frauen vs. Männer in Teilzeit.

Das Ziel ist immer, Kausalität herzustellen und zu fragen, war eine Maßnahme erfolgreich oder nicht? So machen wir DE&I Management messbar und steuerbar. Außerdem liefern wir Daten als Entscheidungsgrundlage für Spitzenmanager:innen, was dem Diskurs zum Thema D&I erfahrungsgemäß sehr gut tut.

10) Was braucht es für die erfolgreiche Kommunikation meiner DE&I Maßnahmen?

Eine klare Strategie, Authentizität, Transparenz sowie eine Roadmap mit Timings. Die Strategie gibt vor, warum wir was und an wen kommunizieren. Hier erleben wir oftmals den reinen Fokus auf externe Kommunikation, was aus vielen Gründen unzureichend ist. Authentizität ist zentral: es ist total in Ordnung zu sagen, dass man noch nicht überall supergut dasteht, aber etwas tut, um besser zu werden. Was gar nicht geht, ist over-promising und under-delivering, also Dinge zu kommunizieren, die dann nicht stattfinden. Als methodisches Handwerkszeug empfiehlt sich eine Roadmap mit kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen, die quasi als Kompass in der Umsetzung kommunikativer Aktionen fungiert und auch „topicality“, also anschlussfähige unternehmensexterne Themata umfasst.

11) Überall hört man von „ESG“. Wie hängen ESG und DE&I zusammen?

ESG-Faktoren sind jene nicht-finanziellen Faktoren, die für Investor:innen bei der Bewertung von Unternehmen immer wichtiger werden. Anders formuliert sind ESG-Faktoren Dimensionen, die Unternehmen in ihrer Positionierung gegenüber dem Finanzmarkt und der globalen Öffentlichkeit schärfen müssen. Die Abkürzung steht für Environment (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (Unternehmensführung). Sowohl was die Regulierungsbestrebungen im Reporting seitens der EU als auch die Positionierung seitens Unternehmen in der Öffentlichkeit betrifft, dominiert klar – noch – die E-Dimension in ESG.

DE&I fällt direkt in die S- und G-Dimensionen, beispielsweise ist die Frage nach der Verankerung und Erreichung von Zielwerten von Frauen in Führungsfunktionen ein Unternehmensführungs-Indikator. Engagement im Bereich LGBT+ Inklusion wäre ein Beispiel für die S-Dimension. Zentral ist, Indikatoren bzw. KPIs in den jeweiligen Dimensionen zu identifizieren und entsprechende Zielwerte zu formulieren. Dann gilt es, Maßnahmen zu setzen und den Fortschritt regelmäßig zu messen bzw. bei Bedarf die Strategie zu adaptieren.


Über die Autorin

Julia Kreyler-Valsky verfügt über langjährige und multidisziplinäre Erfahrung im Bereich Inklusion. Sie verantwortete u. a. das Diversitätsmanagement der Erste Group Bank AG mit rund 46.000 Mitarbeiter:innen in Zentral- und Osteuropa.

Zuvor war sie bei der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris für Bildungs- und Gleichstellungsfragen zuständig. Julia fungierte außerdem als Kabinettschefin im Bildungsministerium und Sprecherin der österreichischen Bundesministerin für Frauen. Ihr erster Job führte sie als Kommunikationsattaché an die österreichische Vertretung bei den Vereinten Nationen in New York. Julia ist Absolventin der Diplomatischen Akademie Wien sowie der London School of Economics (Master in Public Administration). Sie ist außerdem promovierte Soziologin und Magistra der Kommunikationswissenschaften (beides Universität Wien).

Gemeinsam mit Seon-Young Rang gründete Julia 2022 Inclusion Indicator, ein auf evidenzbasiertes Diversitätsmanagement spezialisiertes Beratungsunternehmen. Sonny und Julia unterstützen Unternehmen, Organisationen, Universitäten und Vereine dabei, das Potenzial von Diversität zu nutzen und eine inklusive Kultur des Zusammenarbeitens zu schaffen.

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