DE&I-Strategien mit strukturellem Impact

Fast jedes Unternehmen hat mittlerweile eine Diversitätsstrategie. Die Frage nach nahhaltiger Transformation durch die Verknüpfung von Unternehmens- und Equality-Strategie wird hingegen noch weit weniger häufig gestellt. Marita Haas, Expertin für Diversity-Management, erklärt, warum kleine Schritte nicht mehr reichen und welche Maßnahmen echte strukturelle Effekte zeigen.

Die Frage nach Vorzeigeunternehmen bzw. Best Practice Beispielen im Bereich DE&I (Diversity, Equity & Inclusion) beschäftigt nach wie vor viele Unternehmen. Von den Besten zu lernen und die Dinge genauso umzusetzen, wie es andere schon erfolgreich getan haben, ist ein legitimer Ansatz – leider funktioniert das konkrete Nachahmen aktuell noch nicht, da es wenige Organisationen gibt, die bereits umfassende strukturelle Erfolge auf dem Gebiet von nachhaltiger Gleichstellung erreicht haben.

Woran das liegt, ist auf den ersten Blick gar nicht so einfach zu erkennen. Fast jedes Unternehmen hat mittlerweile eine Diversitätsstrategie, richtet den Blick auf inklusives Recruiting, definiert Kennzahlen und Maßnahmenbündel und veranstaltet Diversitätstage und Podiumsdiskussionen zu LGBTQIA+.

ESRS Reporting-Richtlinien fordern ab 2025/26 umfassende Diversitätsberichte

Umgekehrt wird die Frage nachhaltiger Transformation in Richtung Equality und die konkrete Verknüpfung von Unternehmens- und Equality-Strategie noch weit weniger häufig gestellt. Stattdessen bestehen Unternehmen auf „kleine Schritte“ und reihen eher Maßnahme auf Maßnahme, anstatt sich ein mehrjähriges Transformationsprojekt zu überlegen.

Dies ist insofern erstaunlich, als aktuelle und zukünftige ESRS Reporting-Richtlinien bereits ab dem Jahr 2025/26 umfassende Darstellungen von Diversität fordern. Ab einer Größe von 250 Mitarbeiter:innen werden Unternehmen konkrete Zahlen im Hinblick auf die Verteilung von Geschlecht, Alter, weiterer demographischer Kriterien ebenso wie Kennzahlen zu Krankenständen, Weiterqualifizierung, etc. öffentlich zugänglich machen müssen.

Hintergrund der ESG (European Social Governance)-Ziele ist jedoch nicht eine reine Messung unterschiedlichster Dimensionen, sondern die klare Forderung an Unternehmen als gesellschaftliche Player Verantwortung dafür zu übernehmen, dass alle Menschen am Arbeitsmarkt gleiche Teilhabechancen erhalten.

Das bedeutet konkret, dass jede:r Mitarbeiter:in dieselben Möglichkeiten haben muss, in einem Unternehmen die nächste Karrierestufe zu erreichen – unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Alter, Behinderung, sexueller Ausrichtung oder Religion. Was in der Theorie einfach und fair klingt, stellt in der Praxis eine große Herausforderung für Unternehmen dar: Wie können Kriterien und Zahlen sinnvoll erhoben oder gemessen werden? Und: Wo fangen wir an?

Klares Ziel von Diversitätsmaßnahmen ist die strukturelle Veränderung, respektive die Verteilung von unterschiedlichsten Menschen in den entscheidungstragenden Positionen eines Unternehmens.

Implementation Matrix zur Bewertung von Diversitätsmaßnahmen

Aus diesem Grund haben wir bei Ward Howell eine Implementation Matrix erstellt, die beliebte Maßnahmen zum Thema Equality anhand von zwei Kriterien bewertet (siehe Abbildung). Ziel dieser Matrix ist es, einerseits den Aufwand und benötigte Ressourcen für eine Maßnahme einschätzen zu können, andererseits den gewünschten Effekt auf die Struktur des Unternehmens zu bewerten.

Klares Ziel von Diversitätsmaßnahmen ist die strukturelle Veränderung, respektive die Verteilung von unterschiedlichsten Menschen in den entscheidungstragenden Positionen eines Unternehmens. Finden sich in einem Vorstand vorwiegend Personen desselben Alters und Geschlechts vor, bedeutet strukturelle Veränderung, ein diverses Board mit unterschiedlichsten Personen aufzusetzen. Wie sich auf den ersten Blick erkennen lässt, korreliert der eher überschaubare Aufwand, den es beispielsweise für die Einrichtung eines Frauen-Netzwerks oder einer DEI-Veranstaltung braucht, mit einem geringen strukturellen Effekt.

Organisationale Hebel statt individuelle Programme

Ein konkretes Beispiel: „Female only“-Programme sind zwar immer noch beliebt, aber haben wenig strukturellen Effekt, denn sie setzen anstatt an organisationalen Hebeln an der individuellen Person an, was eher zu Anpassungsleistungen (Stichwort: Wie überlebe ich in einem maskulinen Umfeld?), anstatt zu einer wertschätzenden und inklusiven Kultur führt. Frauen werden hierbei darüber hinaus als homogene Gruppe konzipiert, die unterstützenswert ist und von der Organisation gefördert werden muss. Männer hingegen werden in dieser Idee als nicht unterstützungswürdig betrachtet und non-binäre Personen kommen erst gar nicht vor.

Umso wichtiger ist es, sich von alten Formaten wie diesen zu lösen und auf jene Maßnahmen zu setzen, die echte Veränderungen in der Struktur des Unternehmens (= in der zahlenmäßigen Verteilung von unterschiedlichen Personen) nach sich ziehen. Diese lassen sich in der Grafik vor allem in den beiden rechten Feldern verorten, je nach Komplexität unterteilt in leichter umzusetzende Maßnahmen (wie etwa Führungskräfte-Trainings, Veränderung des Recruiting-Prozesses) oder in komplexere strategische Maßnahmen wie die Verbindung von Unternehmens- und Equality-Strategien.

Equality Performance: Diversität in Zahlen

Die viel zitierte und 2023 in den Vordergrund gerückte „male allyship“ – also männliche Unterstützung, um eine bessere Gender Balance zu erhalten, bekommt im Hinblick auf die strukturelle Wirksamkeit von uns ebenso keine Bestnoten. Abgesehen vom oben beschriebenen stereotypen Gender-Zugang zu Männern und Frauen und die Nicht-Berücksichtigung aller anderen Geschlechter hat der individuelle Einsatz von männlichen Peers und Entscheidungsträgern nur dann einen positiven Effekt, wenn er strukturell verankert ist.

Spricht also der männliche CEO über die Wichtigkeit von Equality und Diversity ist das zwar wünschenswert, aber dennoch wurde damit noch kein nachhaltig positiver Effekt erzeugt. Nimmt aber ein:e CEO seine:ihre Rolle als Verfechter:in von Equality in Unternehmensprozessen wahr und fordert von den Führungskräften und Bereichsleiter:innen mittels KPIs entsprechende Zahlen ein, entwickelt sich eine Kultur, in der laufend über Equality Performance gesprochen wird.

Gastbeitrag von Marita Haas.

Zur Person:

Unternehmensberaterin Dr. Marita Haas leitet bei Ward Howell International den Beratungsschwerpunkt People, Culture & Organization Advisory. Dieser umfasst unter anderem die Begleitung von Unternehmen bei Change Prozessen in Richtung inklusive Organisationen, Strategie- und Organisationsentwicklung sowie Executive Coaching und Leadership Consulting. Marita Haas verfügt über einen wissenschaftlichen Background und begleitet renommierte österreichische Unternehmen bei der Weiterentwicklung in faire und inklusive Organisationen. Sie positioniert sich dabei klar gegen herkömmliche Gender- und Diversitätsprogramme und steht für Veränderung von Strukturen und Prozessen.

 

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