Disability Management: Unterschätztes Potenzial

Für Menschen mit Behinderung ist der Einstieg ins Berufsleben oder die Jobsuche meist nicht einfach. Doch immer mehr Jobplattformen bieten Informationen und Unterstützung bei der Integration von Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt.

Sichtbarkeit und Repräsentanz sind wichtige Bestandteile von Inklusion

Menschen mit Behinderungen haben viele Qualifikationen und Fähigkeiten zu bieten, und doch ist die Jobsuche oft schwer. Sie benötigen die Möglichkeit, sich chancengerecht zu bewerben. Diese Chancengerechtigkeit hat sich die Jobplattform myAbility zur Aufgabe gemacht. Sie wurde 2009 in Wien als „Career Moves“ gegründet und hat mittlerweile im gesamten europäischen Raum Vorbildwirkung: „Damals haben Gregor Demblin und ich die Idee zu einer Jobplattform für Menschen mit Behinderungen entwickelt. Gregor nutzt seit einem schweren Unfall mit 19 Jahren den Rollstuhl, und er musste erleben, dass er plötzlich anders wahrgenommen wurde, ohne dass sich an seiner Person oder seinen Fähigkeiten etwas verändert hatte. Ich selbst war damals Geschäftsführer einer Mainstream-Jobbörse“, erzählt Wolfgang Kowatsch, Managing Director und Co-Founder von myAbility.

Wolfgang Kowatsch, Managing Director und Co-Founder von MyAbility

Kowatsch war auf Anhieb von der Idee begeistert, einen Beitrag für mehr Chancengerechtigkeit im Wirtschaftsleben zu leisten. „Sehr rasch haben wir bemerkt: Es gibt eine Lücke zwischen Angebot und Nachfrage von qualifizierten Arbeitskräften mit Behinderungen. Diese Lücke wollten wir mit unserer ersten gemeinsamen Unternehmung, CareerMoves, schließen“, erklärt er. In einem nächsten Schritt gründeten die beiden myAbility – ein Beratungsunternehmen mit dem Ziel, die Arbeits- und Wirtschaftswelt barrierefrei und chancengerechter zu machen. „Wir haben erkannt, dass Unternehmen umfassende und gezielte Unterstützung in diesem sensiblen Punkt benötigen. Heute ist unsere Jobbörse myAbility.jobs in Österreich, Deutschland und der Schweiz vertreten.“

Man sollte nicht nur an Berufseinsteiger:innen mit Behinderungen denken, denn Behinderungen  werden großteils im Laufe des Lebens erworben.

Wolfgang Kowatsch, Managing Director und Co-Founder von MyAbility

MyAbility.jobs macht inklusive Arbeitgebende sicht- und auffindbar, die gezielt Menschen mit Behinderungen einstellen wollen. Um chancengerecht die Karriere voranzutreiben, braucht es auch eine technisch barrierearme Möglichkeit, nach Jobs suchen zu können – und genau das bietet myAbility.jobs. „Allerdings sollte man nicht nur an Berufseinsteiger:innen mit Behinderungen denken, denn Behinderungen werden großteils im Laufe des Lebens erworben. Es geht auch um Kolleg:innen, die bereits im Unternehmen tätig sind und eventuell nicht offen über ihre Bedürfnisse sprechen wollen. Ein ganzheitlicher Ansatz von Disability Management, quer durch alle Unternehmensbereiche, ist der nächste Schritt, an dem wir häufig mit unseren Kund:innen arbeiten“, so Kowatsch.

In die Mitarbeiter:innensuche einbeziehen

Die Unterstützung bei der Suche nach einem passenden Arbeitsplatz für Menschen mit Behinderung steht auch beim AMS im Vordergrund. „Menschen mit Behinderung sind bei uns eine besondere Zielgruppe“, erklärt Mathieu Völker vom AMS, „Denn ein wichtiger Aspekt unserer Arbeit besteht darin, bei Betrieben mehr „Awareness“ für Menschen mit Behinderung zu schaffen, da – bewusst oder unbewusst – ihr Potenzial des Öfteren nicht erkannt oder in Erwägung gezogen wird. Besonders in Zeiten des Fachkräftemangels sollten Betriebe auch Menschen mit Behinderung ausdrücklich ansprechen und in ihre Mitarbeiter:innensuche einbeziehen“.

Doch hat sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung in den letzten Jahren verändert? „Wir verfügen über eine Auswertung über den Zeitraum Jänner bis Oktober 2022“, so Völker, „Diese zeigt, dass auch Personen mit gesetzlich festgestellter Behinderung von der günstigen Konjunkturentwicklung im ersten und zweiten Quartal dieses Jahres profitieren konnten.“ Diese Entwicklung kann mit Zahlen belegt werden: So betrug die Anzahl der vorgemerkten, arbeitslosen und in Schulung befindlichen Personen mit gesetzlich festgestellter Behinderung im Jänner 15.121 und im Oktober nur mehr 13.165 – „Das entspricht einem Minus von rund 13 Prozent“, so Völker.

Zusammenarbeit mit Unternehmen

Ob die Inklusion von Menschen mit Behinderung am Arbeitsmarkt durch die Digitalisierung leichter geworden ist, ist nicht eindeutig zu beantworten. Einerseits führt die Digitalisierung sicher dazu, dass technologischer Fortschritt die Inklusion erleichtert (Sprachausgaben, Sprachsteuerung, usw.), andererseits ist der Zugang zur IT oft stark von sozialen Faktoren (Kosten) und generationsspezifischen Merkmalen abhängig. Zudem gibt es nach wie vor viele Arbeitsbereiche, für die Personal gesucht wird – etwa Gastronomie, der Dienstleistungs-, Gesundheits- und Pflegebereich –, die nicht via digitale Kanäle im Homeoffice ausgeübt werden können.

Das bestätigt auch Anita Ortner, Leitung Personalentwicklung und Sozialarbeit bei FAB ProWork: „Grundsätzlich kann Digitalisierung helfen, Barrieren abzubauen. Assistierende Technologien können Menschen mit einer körperlichen Beeinträchtigung unterstützen. Unsere Mitarbeiter:innen müssen allerdings oft erst lernen, mit diesen digitalen Medien umzugehen. Was wir merken, ist, dass viele Arbeitsinhalte und Jobs, die vormals für unsere Zielgruppe gut geeignet waren, nun durch die Digitalisierung wegfallen. Zum Beispiel einfache Bürotätigkeiten, archivarische Tätigkeiten oder die Arbeit als Portier.“

Anita Ortner, Leitung Personalentwicklung und Sozialarbeit bei FAB ProWork

Organisatorisch ist ProWork im Verein zur Förderung von Arbeit und Beschäftigung (FAB) eingebunden. Als Spezialist auf dem Gebiet der Arbeitsmarktintegration von Menschen mit sozialen oder körperlichen Beeinträchtigungen ist FAB in ganz Österreich tätig.

Assistierende Technologien können Menschen mit einer körperlichen Beeinträchtigung unterstützen. Oft müssen diese allerdings erst lernen, mit digitalen Medien umzugehen.

Anita Ortner, Leitung Personalentwicklung und Sozialarbeit bei FAB ProWork

ProWork bietet geschützte, dauerhafte und sichere Arbeitsplätze für Menschen mit Beeinträchtigung und unterstützt Mitarbeiter:innen zudem dabei, selbständig zu leben. „Wir beschäftigen sehr viele Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen, also Lernbeeinträchtigungen oder -behinderungen, oft auch in Verbindung mit einer körperlichen Beeinträchtigung und gesundheitlichen Einschränkungen. Menschen, die bei ProWork arbeiten, gelten vor dem Gesetz als arbeitsunfähig, und das AMS hat für sie keinen Vermittlungsauftrag auf den Regelarbeitsmarkt“, so Ortner.

ProWork beschäftigt diese Menschen teilweise in eigenen Werk- und Produktionsstätten (Aufträge: Metallbearbeitung, Verpackung, Assembling) oder in Unternehmen des Regelarbeitsmarktes mittels gemeinnütziger Arbeitskräfteüberlassung (Supported Employment). Ortner: „Wir haben mit vielen Unternehmen sehr gute Erfahrungen gemacht, bei denen Mitarbeiter:innen langjährig beschäftigt oder dann auch direkt übernommen wurden. Das sind superschöne Erfolge für uns.“


Beschäftigungspflicht und Ausgleichstaxe

Arbeitgeber, die in Österreich 25 oder mehr Menschen beschäftigen, müssen auf je  25 Arbeitnehmer:innen mindestens einen begünstigten behinderten Menschen einstellen. Erfüllen Arbeitgeber ihre  Beschäftigungspflicht nicht, ist für jede nicht besetzte Pflichtstelle eine Ausgleichstaxe zu  bezahlen. Die Höhe der Ausgleichstaxe ist gestaffelt, je  nach Anzahl der Beschäftigten. Laut einer Auswertung des BMAW und des Sozialministeriums waren 2021 rund 60.000 begünstigte behinderte Personen gem. BEinstG unselbständig  beschäftigt.

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