Iva Gueorguieva: „Gelebte Diversität“

Regelmäßig führt Gerda Damböck für WEconomy Gespräche mit Menschen, die sich mit Diversität beschäftigen. Dieses Mal hat sie mit Iva Gueorguieva unter anderem über die Bedeutung von Empathie beim Führungsstil gesprochen.

Iva (48) arbeitet als global verantwortliche Delivery Executive in einem großen IT-Unternehmen. Sie denkt allerdings nicht in Nullen und Einsern, sondern gestaltet mit ihrem Feingefühl und ihrer Empathie ein Umfeld, das ihre Mitarbeiter*innen unterstützt und fördert. Ich habe Iva als sehr herzliche und fröhliche Person kennengelernt und gespürt, dass ihr Menschen sehr am Herzen liegen. Im Interview drehten wir uns um ihr Verständnis von Führung, ihre interkulturelle Biographie und ihre Meinung zu Diversity. Lesenswert für alle, die sich von alten Führungsrollen lösen wollen und auf der Suche nach Ideen für eine neue Leadership-Mentalität sind.

Iva, einer meiner bisherigen Interviewpartner hat gemeint, dass ich mich zum Thema Diversity unbedingt mit dir austauschen muss. Danke, dass du dir Zeit nimmst. Ich freu mich sehr auf deine Perspektive. Welche Berührungspunkte hast du zum Thema?

Vielleicht gehe ich zu Beginn ein wenig auf mein bisheriges Leben ein. Ich bin in Bulgarien geboren, bin dort auch zur Schule gegangen und habe das Deutsche Gymnasium abgeschlossen. Um Publizistik und Japanologie zu studieren, bin ich nach Wien gekommen. Da meine Eltern in Amerika leben, habe ich teilweise auch dort studiert. Mein Zwillingsbruder ist in Berlin zuhause, meine ältere Schwester ist in Sofia. Ich bin es seit meiner Kindheit gewohnt, dass meine Familie verstreut an unterschiedlichen Orten lebt. Von daher ist Reisen die Lieblingsbeschäftigung der gesamten Familie. Und ich denke, das hat mich geprägt. Ich versuche, zu verstehen, wie andere Kulturen ticken, weil das mein Leben vereinfacht und bereichert. Wenn ich mit anderen Menschen in meinem Umfeld spreche, höre ich oft, dass sie sich in Österreich nicht angekommen und als Ausländer*innen fühlen. Bei mir ist das nicht so, ich hatte nie das Gefühl, anders behandelt zu werden, weil ich keine Österreicherin bin.

Du bist Führungskraft in einem großen IT-Unternehmen mit nordischen Wurzeln. Wie hat es dich von der Publizistik bzw. Japanologie dahin verschlagen?

Gleich zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn habe ich festgestellt, dass ich mich sehr für alles rund um das Internet interessiere. Ich habe am Helpdesk eines IT-Unternehmens angefangen und Kunden unterstützt, wenn sie Probleme mit ihren Computern hatten. Anschließend habe ich die Leitung dieser Serviceeinheit übernommen und die Expansion Richtung Osteuropa begleitet. Ich habe mich mit SAP auseinandergesetzt und so habe ich mich über diverse Projektleitungen zu meiner aktuellen Position entwickelt, in der ich als Delivery Executive in einer globalen Unit für alle Projekte verantwortlich bin, die wir weltweit an Kunden in bestimmten Branchen liefern. Ich bin nicht der klassische Programmierertyp, aber ich bringe viele Kompetenzen mit, die in der IT-Branche wie auch in vielen anderen Bereichen absolut wertvoll sind.

Genau das habe ich über dich erzählt bekommen, die Rede war konkret von Ziegeln und Mörtel – im übertragenen Sinn ging es darum, dass es Menschen im Unternehmen gibt, bei denen die soziale Kompetenz im Vordergrund steht. Siehst du dich als Mörtel? Wie siehst du dich als Führungskraft?

Ich bin auf jeden Fall gut darin, auf Menschen einzugehen und Teams zusammenzuhalten. In stressigen Situationen, wo die Spezialist*innen in meinem Team voll ausgelastet sind, bin ich diejenige, die „Nervennahrung“ für alle besorgt. Ich schaue immer, was ich dazu beitragen kann, dass wir unsere Projekte erfolgreich abwickeln. Dieser Mehrwert von mir wurde erkannt. Ich bin überzeugt, dass es solche Menschen in jedem Unternehmen braucht, damit die Chemie stimmt. In jeder Organisation arbeiten Menschen mit und für Menschen – das Gefühl für Menschen, die Menschlichkeit, ist daher ein zentraler Wert. Mein Führungsverständnis ist dementsprechend nicht, dass ich mich als Chefin über meinen Mitarbeiter*innen sehe und Befehle erteile. Ich sehe meine Aufgabe darin, alle in meinem Team so zu unterstützen, dass sie ihr Bestes geben können und sich im Unternehmen gut aufgehoben fühlen.

 

„Meiner Meinung nach bringen die jüngeren Generationen sehr viel Offenheit mit und fordern Gleichstellung bzw. Diversity ein.”

 

Denkst du, dass diese Einstellung und deine Empathie dir dabei helfen, mit Vielfalt umzugehen und Diversität zu schätzen bzw. zu fördern?

Ja, das denke ich schon. Ich arbeite täglich mit sehr vielen und sehr unterschiedlichen Menschen in verschiedenen Ländern zusammen. Das mag ich sehr an meinem Job. Ich versuche immer, für mich selbst zu verstehen, wo es welche Unterschiede gibt, z. B. im Hinblick auf die Kultur eines Landes. In Schweden ist es z. B. so, dass jede*r Einzelne im Team mit an Bord sein muss, damit eine Entscheidung getroffen werden kann. Da wird so lange diskutiert, bis es zu einer Einigung kommt. Wenn ich in Finnland bin, ist es überhaupt nichts Außergewöhnliches, mit dem CEO Mittagessen zu gehen. Da gibt es keine spürbaren Hierarchieebenen. Wenn ich in Indien bin und das Team nach der Arbeit essen geht, dann gibt es zuerst Getränke und anschließend wird zwei Stunden getanzt, bevor gegessen wird. Ich mag Tanzen überhaupt nicht, aber in Indien tanze ich. Das verbindet einfach, wenn die Kolleg*innen sehen, dass ich mich für ihre Kultur und für ihr Leben interessiere.

Das ist ein schönes Beispiel. Findest du, dass Diversity insgesamt in eurem Unternehmen eine wichtige Rolle spielt?

Diversity spielt in unserem Unternehmen eine sehr wichtige Rolle, wird seitens des Top Managements unterstützt und ist eine wichtige Säule unserer Firmenphilosophie. Unsere „Spielregeln“ sind sogar im Code of Conduct festgeschrieben. Wenn wir Meetings abhalten und eine Person die Landessprache nicht spricht, wechseln wir sofort auf Englisch. Diese Wertschätzung und das Verständnis füreinander sind spürbar, darum fühle ich mich sehr wohl. Ich bin auch sehr dankbar für die Flexibilität, die das Unternehmen mir bietet. Und ich habe immer wieder die Möglichkeit bekommen, mich auszuprobieren, zu beweisen und zu wachsen. Das sind für mich alles Parameter, die zeigen, dass bei uns der Mensch mit seinen Fähigkeiten und Interessen gesehen wird. Genau darin sehe ich die gelebte Diversität.

Du hast am Anfang gemeint, dass du weder beruflich noch privat negative Erfahrungen damit gemacht hast, hier zu leben und keine Österreicherin zu sein. Das überrascht mich etwas. Hast du eine Idee, warum du das so ist?

Ich erlebe das in vielen Ländern so, dass die erste Generation in einem anderen Land einerseits über die Familie viel Einfluss aus dem Herkunftsland erfährt, andererseits selbst aber keine Beziehung dazu hat. Interessanterweise kommt dann bei vielen im Alter von 25-30 Jahren die Frage auf, wo man sich zugehörig fühlt und hingehört. Daraus entsteht oft eine Art Identitätskrise. Bei mir war das anders. Ich denke, das lag daran, dass ich bewusst die Entscheidung getroffen habe, nach Wien zu gehen. Damit war für mich auch klar, dass ich mich hier integrieren werde. In den ersten paar Jahren bin ich in den Ferien immer nach Sofia geflogen. Und dann hatte ich einmal, als ich wieder zurück nach Wien kam, das Gefühl „Aha, jetzt bin ich wieder zuhause“. Ich fühle mich weiterhin als Bulgarin, aber ich habe in Wien eine Heimat gefunden. Dazu trägt bestimmt auch mein Job maßgeblich bei. Ich bin stolz darauf, was ich bereits erreicht habe.

Diese Zufriedenheit strahlst du auch aus. Ich kann mir gut vorstellen, was deine Kolleg*innen besonders an dir schätzen. Wenn ich zum Abschluss unseres Interviews noch einmal auf einen beruflichen Aspekt zurückkommen darf: Ich erlebe in meiner LinkedIn-Blase viele Bestrebungen, mehr Frauen in die IT zu bringen. Du arbeitest in einem großen IT-Unternehmen – wie erlebst du die Verteilung von Männern und Frauen?

Bei uns in Zentraleuropa ist IT noch immer ein klar männlich dominiertes Berufsfeld. Das ist allerdings nicht überall so. In Finnland ist die Aufteilung annähernd 50:50, in Indien arbeiten sehr viele Frauen in der IT. Meiner Meinung nach hängt das damit zusammen, dass Indien insgesamt im IT-Sektor sehr stark unterwegs ist und Mädchen darin unterstützt werden, in dieses Berufsfeld einzusteigen. IT bietet sehr viele Möglichkeiten, eine vergleichsweise hohe Flexibilität und ein gutes Einkommen. Auch in Österreich gibt es Initiativen, um mehr Mädchen für die IT zu begeistern. Ich habe das Gefühl, dass die Bestrebungen etwas bewirken, aber wir sind noch lange bei keiner ausgewogenen Verteilung. Meiner Meinung nach bringen die jüngeren Generationen sehr viel Offenheit mit und fordern Gleichstellung bzw. Diversity ein. Das wird hoffentlich rasch dazu führen, dass Unternehmen sich dem Thema mit Leidenschaft widmen. Ich bin sehr optimistisch gestimmt, dass sich unsere Gesellschaft in eine gute Richtung entwickelt.

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