Findet die KI meinen nächsten Job?

Mission Female Member und Executive Search Consultant Monika Becker über die Chancen und Risiken von künstlicher Intelligenz im Recruiting.

Disclaimer: Dieser Artikel wurde rein mit menschlicher Kraft erstellt. Es ist nötig, dies dazu zu sagen, so selbstverständlich ist uns der Einsatz von KI, vor allem ChatGPT, im letzten Jahr geworden. 

Nach Sigmund Freud sind Zufriedenheit in Partnerschaft und Zufriedenheit in der Arbeit die wichtigsten Säulen für ein gelingendes Leben. Welche Rolle kann und darf KI in der wichtigen und sehr persönlichen Wahl des nächsten Jobs spielen? Und kann auf der anderen Seite künstliche Intelligenz Unternehmen helfen, im vom Fachkräftemangel geprägten Arbeitsmarkt die Mitarbeiter*innen zu finden, die ein “perfect match” sind und dauerhaft bleiben? Oder führt KI im Recruiting nur dazu, dass sich zum Nachteil der Bewerber*innen Vorurteile in Form von Algorithmen gegenüber menschlicher Intuition durchsetzen?

Wo stehen wir in Deutschland mit der Nutzung von KI im Recruiting?

In Deutschland haben im Jahr 2023 „erst“ 15 % aller Unternehmen KI eingesetzt (laut Forbes Business Advisor vom 11.12.2023). Der Anstieg zum Vorjahr (9 % in 2022) ist aber rasant, und zwei Drittel der deutschen Unternehmen sehen KI als wichtige Zukunftstechnologie. Wir befinden uns also in einer Wendezeit, in der KI noch eher experimentell eingesetzt wird, sich aber gerade die Weichen für einen etablierten Einsatz stellen. In 5 Jahren, darauf lässt sich leicht eine Wette abschließen, wird der Einsatz von KI in der Personalgewinnung die Regel sein.

Schon heute nutzen Unternehmen künstliche Intelligenz, um detaillierte Vorhersagen für ihren langfristigen Personalbedarf zu treffen. So sollen Wellen aus langgeplanten teuren Einstellungen und kurzfristigen Entlassungen aufgrund von Fehleinschätzungen vermieden werden. Zudem kann mit Hilfe von großen Datenmengen präzise analysiert werden, welche Fähigkeiten und Eigenschaften eines Bewerbers tatsächlich wichtig für den Erfolg in einem Job sind. So kann die Empirie die unbewiesenen Vorannahmen – und manchmal auch das Blabla – von menschlich erstellten Stellenanzeigen schlagen.

Eine weitere weit verbreitete Anwendung ist, dass KI gestützte Personalmarketingwerkzeuge die gewünschten Bewerber*innen auf der passenden Plattform und mit Hilfe von KI unterstützten Schreiben (Augmented Writing) in der optimalen Sprache kontaktieren. Diese Einsatzmöglichkeit von KI wird laut einer Studie des Ethikbeirats HR Tech von 2021 bislang am häufigsten genutzt.

Wir alle kennen Chatbots, die uns immer verfügbar 24/7 auf der Karriereseite von Unternehmen empfangen, wiederkehrende Fragen beantworten, bei der Eingabe von Bewerbungsdaten helfen, eventuell sogar die Chancen einer Bewerbung einschätzen und so die HR-Abteilung entlasten. Ebenfalls schon weit verbreitet sind sogenannte CV-Parser, die Bewerbungsunterlagen analysieren und in das Bewerbungsmanagementsystem des Unternehmens überführen, wodurch wiederum Personalabteilungen entlastet werden.

In der Personalauswahl schließlich werden KI gestützte Online-Tests oder Online-Assessments eingesetzt, die bequem zuhause am Abend oder am Wochenende durchgeführt werden können und aufgrund einer großen zugrundeliegenden Datenmenge präzise Aussagen über die Eignung von Kandidat*innen erlauben. Erst am Anfang steht die Nutzung von Chatbots, um auf der Basis der Bewerbungsunterlagen passende Interviewfragen vorzuschlagen oder ein erstes Interview gleich automatisiert durchzuführen. Ebenfalls noch recht neu ist die Möglichkeit, aufgezeichnete Video Bewerbungsinterviews KI gestützt zu analysieren und aus Sprache, Mimik und Gestik der Bewerberin/des Bewerbers Rückschlüsse auf Softskills wie Empathie zu ziehen.

Und auf Seiten der Bewerber*innen? Auch Bewerber*innen nutzen KI-gestützte Tools, um passende Jobs auf sozialen Plattformen zu finden. Sie lassen Ihre Unterlagen von ChatGPT „mitgestalten“ und optimieren ihre Profile auf Social Media Plattformen. Mittels KI können Sprache und Inhalte der Profile an die Präferenzen der gewünschten Zielgruppe (hier mögliche Arbeitgeber*innen) optimal angepasst werden.

Risiken und Chancen: Wird Recruiting durch KI effizienter – und auch fairer?

Ob das Finden des richtigen Jobs leichter und die Auswahl passender neuer Mitarbeiter*innen treffsicherer wird, wenn mit Hilfe von KI erstellte Bewerbungsunterlagen auf KI gestützte Auswahlprozesse treffen? Gibt es dann noch Authentizität in Recruiting Prozessen? 

Ein großes Bedenken beim Einsatz von KI trifft die Möglichkeit, dass Vorurteile („Biases“) in KI gestützte Personalauswahlsysteme hinein programmiert werden und so gut geeignete Kandidat*innen chancenlos sind. Ein berühmtes Negativbeispiel ist hier das Vorgehen von Amazon in den 2010er Jahren. Da die eingesetzte KI hauptsächlich mit männlichen Bewerberprofilen trainiert worden war, nahm sie an, dass Frauen weniger geeignet für die offenen Positionen seien und sortierte die Bewerbungen aus. So wurden Frauen systematisch benachteiligt. Allgemein ausgedrückt entscheidet KI nach den Eigenschaften der Trainingsgruppe. So werden die Potenziale „diverser“ Bewerber*innen übersehen.

Zudem wird befürchtet, dass Bewerberdaten nicht ausreichend geschützt werden (wobei die europäische Datenschutzrichtlinie DSGVO hier große Sicherheit bietet) und die Privatsphäre der Bewerber*innen verletzt wird (etwa in dem der reale Hintergrund in Videointerviews analysiert werden könnte). 

Möglichkeiten der Verzerrung gibt es genauso auf Seiten der Bewerber*innen. Bewerberprofile auf Social Media Plattformen können ebenso wie Bewerbungsunterlagen „gefaked“ werden. Und wer garantiert, dass der Online-Test tatsächlich von den Bewerber*innen selbst und nicht von einer smarten Schwester bearbeitet wurde?

Diese Bedenken führen dazu, dass laut einer Studie der IU Hochschule in Erfurt von 2022 etwa zwei Drittel aller Befragten den Einsatz von KI in der Personalauswahl kritisch sehen (unpersönlich, fehleranfällig, intransparent), obwohl die wenigsten eigene Erfahrungen gesammelt haben. Ursache für diese Skepsis ist, neben vermutlich der „German Angst“, dass Bewerber*innen KI basierte Auswahlsysteme als Black Box erleben, in der Entscheidungen des Systems nicht nachvollziehbar sind. Diesen Black Box Effekt kann es auch für Unternehmen geben, die die Entscheidungen ihrer KI nicht nachvollziehen können und so in eine Abhängigkeit vom System geraten.

Diesen Bedenken steht ein nicht bestreitbarer Gewinn an Effizienz in den Personalabteilungen gegenüber. KI gestützte Prozesse entlasten die Mitarbeiter*innen in Personalabteilungen von aufwendigen, administrativen Prozessen und ermöglichen die Konzentration auf inhaltliche Arbeit. Wer möchte schon in das Recruiting der 90er Jahre zurück, als frühestens nach einer Woche eine schriftliche Eingangsbestätigung der Bewerbung ins Haus flatterte und die Bewerber*innen dem persönlichen Weltbild des HR- Mitarbeiters oder einstellenden Managers hilflos ausgeliefert waren. Wenn der glaubte, dass Bewerber*innen mit „nicht biodeutschem Nachnamen“ für eine Rolle nicht taugen, war das Gesetz. Die gewonnene Effizienz und das empirische Wissen durch KI erlaubt es HR-Mitarbeiter*innen also, sich mehr auf ihre Rolle als People & Culture Manager*in zu konzentrieren. Die Personalauswahl kann also durch gut eingesetzte KI „menschlicher“ werden.

Eine menschliche Schlussfolgerung

Der Einsatz von KI verändert die Personalgewinnung wie viele andere Lebensbereiche gerade disruptiv. Um vorzusehen, wie genau menschliche und künstliche Intelligenz in fünf oder zehn Jahren im Recruiting zusammenwirken, bräuchte es eine richtig gute Glaskugel. 

Klar ist aber heute schon, dass die Akzeptanz von Recruiting Prozessen von ihrer Transparenz, gerade auch in Hinblick auf den Einsatz von KI abhängt. Vor allem aber wird KI in guten Recruiting Prozessen immer nur eine Unterstützung bleiben, die es den menschlichen Akteuren erlaubt, sich auf ihre Kernfähigkeiten, die menschliche Begegnung, die intuitive Einschätzung, den Deep Talk und das Aufbauen von Bindung zu konzentrieren. 

Über die Autorin

Dr. Monika Becker ist promovierte Psychologin und verantwortet bei dem Executive Search Spezialisten HAGER Consulting seit diesem Jahr das Business Development in den Segmenten IT & Digitalisierung. Mit ihren Kolleginnen besetzt Monika anspruchsvolle Führungspositionen für Technologiehersteller und IT Beratungsunternehmen sowie Schlüsselfunktionen in der digitalen Transformation von Industrie- und Dienstleistungsunternehmen. Bei Horton International, der globalen Executive Search Gruppe, der Hager angehört, ist Monika Sector Lead für IT und Digitalisierung.

Diversity ist für Monika seit Jahren ein wichtiges Thema. In ihrer Rolle als Beraterin in einer noch immer stark Männer dominierten Branche arbeitet Monika mit ihren Klient*innen an nachhaltigen Konzepten für Vielfalt. Auch bei Hager hat Monika das Thema Diversity vorangetrieben.

Mission Female GmbH

Mission Female bietet erfolgreichen Frauen ein exklusives Netzwerk von Vertrauen und Austausch auf Augenhöhe und stärkt sie aktiv bei ihrer persönlichen und beruflichen Entwicklung. Dabei engagiert sich das 2019 von Frederike Probert gegründete Business-Netzwerk aktiv für mehr Female Power in Wirtschaft, Gesellschaft, Medien, Kultur, Sport und Politik und vereint erfolgreiche Frauen branchenübergreifend auf höchster Ebene mit einem Ziel: Gemeinsam beruflich noch weiter voranzukommen. Immer persönlich, vertraulich und verbindlich ganz nach dem Motto #strongertogether.

https://www.missionfemale.com/ 

 

artikel teilen

aktuelle artikel