Gender Equality: Blick hinter die Vorstandskulissen

Von Lippenbekenntnissen zu Diversität – oder: Warum es noch lange nichts zu feiern gibt. Eine Zwischenbilanz von Transformationsarchitektin Sabine Gromer.

Text: Sabine Gromer

Der Blick hinter die Kulissen ist wenigen gestattet, als Vorstandsberaterin ist er mir erlaubt. Ich kann Ihnen sagen, dass die Situation in Bezug auf Diversität wenig Grund zur Freude bereitet. Wohlwissend, dass es auf anderen Diversitätsebenen noch schlimmer aussieht, möchte ich hier den Fokus auf Gender legen. Es geht um nicht eingehaltene Versprechungen, Nuller-Frauenquoten und fragwürdige Anspielungen auf die wenigen Frauen, die es geschafft haben und jene, die gescheitert sind.

Es gibt einen (verallgemeinerten) Unterschied in meiner Coachingpraxis zwischen weiblichen und männlichen Vorstandsmitgliedern: Männer beschäftigt das Thema Karriereweg, was noch kommt und wie sie sich dafür positionieren können. Frauen dagegen arbeiten vorwiegend am Standing in ihrer Rolle, weil sie oft die einzige Frau sind und sich besonders beweisen müssen. Aus meiner Perspektive ist die Vorstandsebene weit davon entfernt, Frauendiversität ernst zu nehmen. Die Fakten dazu geben mir recht.

Kein Grund zu feiern

Im Herbst ist der Allbright-Bericht mit den neuesten Zahlen über Frauen und Diversität in deutschen Vorständen erschienen. Gleich zu Beginn werden darin gute Nachrichten verlautbart: 40 Prozent aller neu ernannten Vorstände in DAX-Unternehmen waren weiblich, drei von ihnen haben ein nahezu ausgewogenes Verhältnis zwischen Männern und Frauen. Jetzt könnten uns diese Zahlen jubilieren lassen. Bevor wir die Sektgläser heben, lassen Sie mich noch etwas ausführen. Zum einen können die positiven Entwicklungen nicht über die Bad News hinwegtäuschen: Mehr als die Hälfte der an der Frankfurter Börse notierten Unternehmen hat noch immer keine einzige Frau im Vorstand, und insgesamt beträgt das Wachstum des Frauenanteils in börsennotierten Unternehmensvorständen nur mickrige 0,8 Prozent. Zum anderen stelle ich infrage, ob die guten Nachrichten auch wirklich gute Nachrichten sind. Immerhin ist Purplewashing inzwischen eine mindestens so populäre PR-Maßnahme wie das Greenwashing. Katharina Schulze, grüne Abgeordnete in Bayern, bringt es auf den Punkt: „Gleichberechtigung finden immer alle ganz gut. Macht abgeben aber nicht.“ Lassen Sie den Sektkorken also noch in der Flasche. Von tatsächlich gelebter und ernstgenommener Diversität in Vorständen sind wir weit entfernt.

Gender Equality in Vorständen bleibt (lila) Gewäsch

Während Nachhaltigkeit als Lieblingsthema der Unternehmens-PR langsam, aber sicher an Popularität verliert, ist Gleichberechtigung schon lange en vogue. Seit einiger Zeit ist das Wort Diversität in aller Munde. Trotzdem bleibt eine grundlegende Veränderung aus. Es bleibt maximal eine schleichende Evolution. Das Gute daran: je langsamer es geht, desto weniger bedrohlich ist es für das Gesamtgefüge. So lässt es sich auch besser über Maßnahmen reden.

Wir lesen von Elternzeit für Väter, Frauen-Mentoring, von erhöhten Diversitätsbudgets und von zunehmenden Frauenquoten. Diversität ist selbst unter konservativen Unternehmenden zu einem Modewort geworden und gehört zum guten Ton. Doch wenn wir den Schleier lüften, sehen wir die ernüchternde Realität. Bei der medial verlautbarten Meldung eines verdoppelten Budgets für Diversität verschweigt ein milliardenschweres Unternehmen, dass es bloß von 25.000 auf 50.000 Euro erhöht wurde und damit unter dem Budget für sportliche Aktivitäten bleibt. Ein anderes Unternehmen hat 60.000 Mitarbeitende weltweit und sich auf seinen Social-Media-Kanälen damit gebrüstet, sein Diversity & Inclusion–Team zu verdoppeln. Die Tatsache, dass es sich nunmehr um zwei statt einer Person handelt, wird unter den Tisch gekehrt. In der Regel werden Frauenförderprogramme von Frauen initiiert und geleitet, haben kein (ausreichendes) Budget und keine männlichen Verbündeten. Doch ohne Budget und (männliche) Partner aus der obersten Ebene wird sich nichts verändern. So bleiben sie nichts als großzügig von Männern gesponserte Spielplätze für Frauen, wo sie sich austoben und auspowern können, um dann zu müde zu sein, um festgeschraubte Strukturen ändern zu wollen.

In meiner Arbeit mit Vorständen geht es mir darum, die darunterliegenden Dynamiken zu erklären, Führungskräfte in ihrem Denken zu Diversität herauszufordern und mit ihnen zu erarbeiten, warum sie sich – oft unbewusst – gegen diese und andere Führungsaufgaben stellen. Doch in den meisten Fällen fehlt es schon am grundlegenden Verständnis der Basics. Sie sprechen von Diversität, Chancengleichheit und Pink Tax, verstehen aber gar nicht, was damit wirklich gemeint ist. Wozu auch, wenn es am Willen zur wirklichen Veränderung fehlt?

Es fehlt an visionären Leadern

Die meisten (Männer) haben kein ehrliches Interesse an einer gleichberechtigten Unternehmenskultur, selbst wenn sie darüber informiert sind, dass Diversität nachhaltig positive Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg hat. Die Fakten liegen auf dem Tisch: Die Gleichstellung der Geschlechter am Arbeitsplatz und eine stärkere Vertretung von Frauen in Unternehmensvorständen sind für das Wirtschaftswachstum und den gesellschaftlichen Zusammenhalt von entscheidender Bedeutung. Woran scheitert es also? In Vorständen sitzen überwiegend Männer, die keine visionären Leader sind und an Veränderungen Interesse haben, die Stühle sind vorrangig von Männern besetzt, die managen, anstatt zu führen, und deren vorrangiges Interesse der Erhalt des Status Quo und ihrer Macht ist. Es ist ihnen zwar klar, dass man so tun muss, als ob, um weiterhin im Rennen zu bleiben, aber dafür bezahlen sie ja ihre PR-Maschinerie.

Ja – auch sie gibt es, die Männer, die nicht nur so tun, als ob, die ehrliches Interesse haben, sich für weibliche Mitarbeitende einsetzen, zu frauenassoziierten Veranstaltungen gehen und für Gleichberechtigung einstehen. Aber die meisten halten sich aus Angst, etwas Falsches zu sagen, bei echten Positionierungen zu wichtigen frauenbezogenen Themen (siehe Abtreibungsdebatte durch die Entscheidung des U.S. Supreme Courts) zurück. Sie sind genauso in die patriarchalen Unternehmenskulturen assimiliert wie die Frauen, die es trotz aller Widrigkeiten in die oberste Hierarchie-Ebene schaffen. Die Kultur bleibt weiterhin frauenfeindlich. Die positiven Studien gehen davon aus, dass wir sie 2030 erreichen, die negativen von 2070. Ich halte die letztere Jahreszahl für die realistischere. Es wird also noch sehr lange dauern, bis wir feiern können – wenn wir es überhaupt erleben werden.

Über die Autorin

(c) Antje Wolm

Sabine Gromer hat 20 Jahre ihrer Karriere in der Finanzwelt verbracht und in dieser Zeit verschiedenste Führungsrollen übernommen. Zuletzt war sie als Managing Director die Global Head of Organisational Effectiveness bei der Rating-Agentur S&P Global Ratings (ehemals Standard & Poor’s Ratings) in London. 2019 ist sie nach Wien gezogen und hat sich mit der Gründung ihres Unternehmens MagnoliaTree einen Lebenstraum erfüllt. Heute wirkt sie als Executive Coach für Strategieentscheider:innen und Transformationsarchitektin für Change Leadership, erforscht die Essenz von Würde und schreibt u.a. für forbes.com.

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