Sexuality sells?

Nicht nur die neuen Homeoffice-Möglichkeiten bringen die Arbeitswelt sprichwörtlich bis ins eigene Schlafzimmer. Die Vermischung zwischen Berufs- und Privatleben ist mittlerweile allgegenwärtig. Auch in diesem Punkt gilt: Wer seine Werte in der Arbeit leben will, muss diese erst kennen. Keine leichte Aufgabe!

Text: Tim Noldin

Persönlichkeitsmerkmale, die früher noch als privat galten, spielen heute eine immer größere Rolle: So steigt das Bedürfnis, auch im Beruf die eigenen Werte wirklich zu leben. Doch wie offen ist zu offen? Muss meine Firma etwas über meine sexuelle Orientierung, die Familienplanung oder meine Weltanschauung wissen?

Besonders in Bewerbungsverfahren entstehen durch die verschwimmenden Grenzen neue Herausforderungen. Dürfen so persönliche Fragen im Jobinterview überhaupt gestellt werden? Die Antwort lautet natürlich: Nein. Zumindest nicht vom Unternehmen!

Der Grund ist der Schutz vor Diskriminierung. Ein bisschen nach dem Motto: „Was der Recruiter nicht weiß, macht ihn nicht heiß“. Mir ist das zu flach gedacht. Am Ende sind weder die Unternehmen, noch die Mitarbeiter:innen wirklich glücklich.

Dramafrei und offen

Die aktuellen Bewerbungsverfahren sind darauf ausgerichtet, zu klären, ob Bewerber:innen fachlich zum Unternehmen passen. Nicht jedoch, ob die Werte des Unternehmens und der Bewerber:innen zusammenpassen.

Natürlich ist es rechtlich verboten, nach der sexuellen Orientierung oder dem Kinderwunsch zu fragen. Und das ist auch gut so. Doch möchte ich in einer homophoben oder sexistischen Firma arbeiten, nur weil dieses Thema nie offen angesprochen wurde?

Ich glaube die beste Option ist, zu fragen! Dramafrei aber offensiv. Nicht als Recruiter:in, sondern als Bewerber:in.

  • Wie handhabt Ihre Firma Väterkarenzen?
  • Was versteht man bei Ihnen unter Toleranz?
  • Wie gehen Sie mit unterschiedlichen Meinungen um?

Die eigenen Werte kennen

Die Erfahrung mit unseren Klient:innen zeigt – der Mut lohnt sich. Schon jetzt zwingt der gesellschaftliche Wandel Unternehmen dazu, im Employer Branding immer mehr Stellung zu beziehen. Karenzregelungen, Pride-Fahnen und Quoten dürfen keine leeren Versprechen mehr sein, Purple- , Pink- und Woke-Washing werden langfristig nicht ausreichen. Doch wer Werte einfordern will, muss die eigenen Werte erst kennen.

Für Arbeitnehmer:innen muss daher die brennende Frage lauten: Was will ich wirklich? Wer klare Haltung vom Unternehmen fordert, darf nicht mit Worthülsen um sich werfen. Akzeptanz, Verantwortung, Entwicklungsmöglichkeiten, etc. sind schön und gut, doch was bedeuten diese Begriffe genau? Für dich persönlich?

Solange Unternehmen und Arbeitnehmer:innen die sexuelle Orientierung, den Kinderwunsch oder die eigenen Karrierepläne als Hürde sehen, die zu verstecken ist, werden Menschen in Jobs landen, die sie langfristig unglücklich machen. Ich würde sagen „Clarity sells!“ – vollkommen unabhängig von sexueller Orientierung, persönlichen Wünschen oder Eigenschaften. Und über all dem steht das Wissen um die eigenen Werte.

Über den Autor

(c) Alexander Krivda

Tim Noldin ist Wirtschaftspsychologe, Gründer und leitender Karrierecoach bei coachfident.com. Mit seinem Team aus über 80 Coaches hilft er Menschen, herauszufinden, was sie beruflich wirklich wollen.

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