„Wir wollen die Buntheit leben”

Die Schweiz hat bis heute den Ruf einen Hauch von Männerbündlerei in ihre Erfolgsstrategien zu verpacken. Immerhin ist in jedem Wissensquiz die Frage nach der Einführung des Wahlrechts für Frauen ein Dauerbrenner: Es war 1971. Dass 50 Jahre später im wichtigsten Medienunternehmen des Landes eine bahnbrechende Initiative für die größere Sichtbarkeit von Frauen gestartet wurde, ist bemerkenswert und mit ein Verdienst von Annabella Bassler, CFO von Ringier. Bei einem Video Call um 8 Uhr früh haben wir – zwischen Zürich und Wien – über „EqualVoice“ gesprochen.

EqualVoice stellt eine Innovation hinsichtlich von Women Empowerment in der Medienberichterstattung dar. Kann man bereits konkrete Erfolge beobachten?

Annabella Bassler: Absolut. Wir stellen eine größere Sichtbarkeit von Frauen in der Medienberichterstattung in zwei Richtungen fest. Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Als wir im November 2019 begonnen haben, mit Unterstützung des EqualVoice Factors, die Frauen- und Männeranteile in unseren Medien zu messen, lag der Frauenanteil bei der Berichterstattung der Handelszeitung  bei 17 Prozent. Heute liegt er bei knapp 30 Prozent. Das ist natürlich nicht wie Manna vom Himmel gefallen. Es war harte Arbeit. Ein Projektteam hat das Thema vorangetrieben, aber es wurde in den Redaktionen von den Journalistinnen und Journalisten diskutiert und umgesetzt. Denn Initiativen, wie die EqualVoice Initiative,  sind nie erfolgreich, wenn sie „top down“ stattfinden, sondern müssen breit akzeptiert und immer wieder bei allen Beteiligten ins Bewusstsein gerufen werden. Es gibt unter anderem regelmässige „EqualVoice“-Blattkritiken im Rahmen  der Redaktionskonferenz, bei der gemeinsam analysiert wird, wie sich die Sichtbarkeit je nach Medienmarke entwickelt hat.

Der Grundgedanke von EqualVoice ist, weibliche Role Models sichtbarer zu machen um das Bewusstsein für ihre Leistungen zu schärfen. Auf eine Quote wurde verzichtet. Was waren die Beweggründe?

Annabella Bassler: Die ganze Initiative basiert ja darauf, Frauen in den Medien sichtbarer machen zu wollen, weil wir davon überzeugt sind, dass Männer und Frauen nicht gleich, aber gleichwertig sind. Daher ist uns die öffentliche Präsenz weiblicher Role Models immens wichtig. Das heißt aber überhaupt nicht, dass wir beispielsweise im Wirtschaftsmagazin „Bilanz“ jetzt zwanghaft alle zwei Wochen eine weibliche CEO auf dem Cover zeigen müssen, sondern es geht uns darum, dass wir Expertinnen in den unterschiedlichsten Bereichen zu Wort kommen lassen. Wenn es um den Krieg in der Ukraine geht, wird auch die Expertise einer Historikerin gefragt.

Was entgegnen Sie dem Argument, dass es einfacher weniger Frauen gibt, die in der Öffentlichkeit ihre Meinung kundtun wollen?

Annabella Bassler: Als konkrete Hilfestellung haben wir eine EqualVoice-Expertinnenliste zusammengestellt: einen Pool an Namen von Expertinnen aus den unterschiedlichsten Branchen und Wissensgebieten. Auf diese Liste  können die Redaktionen bei Bedarf zugreifen.

Messbarkeit ist ein oft unterschätzter Faktor für den langfristigen Erfolg einer Initiative. Wie wird bei „Equal Voice“ der Frauenanteil in der Berichterstattung erfasst?

Annabella Bassler: Wir machen das mithilfe eines semantischen Algorithmus. Diese ganz klare, objektive Messbarkeit ist meiner Meinung nach ein entscheidender Faktor für den Erfolg der Initiative. Es gibt eine Evidenz und dann einen Frame in der Berichterstattung: Da geht es um die Art und Weise, wie Frauen im Gegensatz zu Männern dargestellt werden. Ein Bild einer Frau im Cocktailkleid hat zum Beispiel dann nichts verloren, wenn sich die Betreffende in diesem Artikel mit makroökonomischen Tatbeständen auseinandersetzt. Natürlich werden diesbezüglich weiterhin Fehler geschehen. Wir werden uns dabei ertappen, in alte Muster zu verfallen. Stellen wir Frauen unbewusst andere Fragen als Männern? Wollen wir von einem Mann zum Beispiel auch wissen, ob er den Kindern bei den Hausaufgaben hilft? Liegen wir immer richtig? Nein. Aber sind wir auf dem richtigen Weg? Auf jeden Fall.

Das führt mich zurück zu den weiblichen Role Models. Wie sieht es mit der Akzeptanz in der Medienbranche aus?

Annabella Bassler: Anlässlich meines zehnjährigen Jobjubiläums bei Ringier hat mich mein Sohn gefragt, ob Jungs eigentlich auch CFO werden können. Ich habe natürlich gelacht. Aber eigentlich habe ich gedacht: Es ist ja großartig, dass Kinder eine ganz andere Wahrnehmung haben, wenn sie es anders vorgelebt bekommen. Das ist die Macht der Rollenvorbilder. Was ich im beruflichen Umfeld verstärkt bemerke, ist die steigende Sensibilität von Männern gegenüber diesem Thema, wenn sie zu Vätern von Töchtern werden. Dann meinen sie: „Annabella, mir ist das jetzt plötzlich viel bewusster geworden. Natürlich möchte ich meine Tochter so erziehen, dass sie später selbstbestimmt leben kann und nicht abhängig von einem Mann ist.“

Jeder muss sein Glück in sich selbst finden. Dafür ist kein anderer verantwortlich. Ich bin davon überzeugt, dass unsere Role Models Mut machen, den eigenen Weg zu finden und zu gehen. Und das kann ja bei jedem Menschen etwas völlig Unterschiedliches sein. Aber zu zeigen, dass wir 50 Prozent Frauen und 50 Prozent Männer auf dieser Welt haben und beide bei uns gleichwertig zu Wort kommen, ist meiner Ansicht nach ganz wichtig.

War es schwierig eine Initiative wie „EqualVoice“ in den Redaktionen zu verankern?

Annabella Bassler: Ein wesentlicher Faktor war die „Power of Data“. Durch die Fakten war und ist erwiesen, dass der Frauenanteil nicht gefühlt, sondern tatsächlich gering war  und immer noch ist. Dadurch ist es uns gelungen eine sehr emotionale Diskussion völlig zu rationalisieren. Inhaltlich nehme ich mich aber völlig raus. Ich bin keine  Journalistin und ich mische mich nicht in die Redaktionsarbeit ein oder redigiere  Texte. Für mich ist die Unabhängigkeit des Journalismus und damit der Redaktionen als Mitglied der Geschäftsleitung eines Medienunternehmens das Allerwichtigste. Das ist die Glaubwürdigkeit, die niemals zur Diskussion stehen darf. Für mich war es super interessant, in diesen Dialog mit den Redaktionen gehen zu dürfen und gemeinsame Ziele zu überlegen. Nach knapp drei Jahren ist das Beste eingetreten, was ich mir hätte wünschen können: Es wird nicht diskutiert, ob EqualVoice gewollt ist, sondern von der Chefredaktion bis zur Volontärin machen alle selbstverständlich mit und haben EqualVoice in ihren Redaktionsalltag vollumfänglich integriert.

Inwiefern war „EqualVoice“ auch eine Strategie um das Unternehmen diverser und somit fitter für die Zukunft aufzustellen?

Annabella Bassler: Es war und ist immer noch ein reines Herzensprojekt. Wahrscheinlich hat es dadurch so viel positive Energie ausgelöst und zu einem echten Miteinander führt. Dass uns dies heute über den Dialog hinaus Pluspunkte für die Entwicklung unseres Unternehmens gibt, all dies ist eine angenehme Beigabe. Die Beschäftigung mit „EqualVoice“ hat unseren Blick geschärft, wenn es um Transformation im Arbeitsumfeld geht. Diversität und Inklusion sind ganz zentrale Themen, für die es eine Business-Strategie braucht. Ich sehe uns in der Geschäftsführung auch ganz klar in der Verantwortung, diese im Unternehmen voranzutreiben.

Diversität ist ein weites Feld. Wo legen Sie den Fokus?

Annabella Bassler: Wir beschäftigen uns neben dem Thema Gender Equality  sehr mit den Themen Alter und Herkunft. Dass wir damit einen Zeitgeist treffen, haben die mehr als 90 Anmeldungen für unseren internen Workshop dazu gezeigt. Mir ist sehr wichtig, dass eine freiwillige und offene Atmosphäre in unserem Unternehmen herrscht. Niemand soll sich verpflichtet fühlen, mehr Privates von sich preiszugeben, als er möchte. Wir wissen, dass wir nicht alle gleich sind und das ist wunderbar. Die Türen stehen offen: Wir sind ein diverses Haus, das alle inkludiert. Wir wollen diese Buntheit aktiv leben.

Foto: bereitgestellt

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