Am Weltfrauentag treffe ich Heidemarie Egger, für sie ein erinnerungsträchtiger Tag. Denn vor genau fünf Jahren fing sie an, sich intensiv mit der Situation von Frauen mit Behinderungen auseinanderzusetzen.
Heidemarie Egger, selbst Frau mit Behinderungen, fiel damals auf: Es fehlt an einem institutionalisierten Beschäftigen mit dem Thema, es fehlt an Daten, es fehlt an einem Bewusstsein dafür, dass sich die Situation von Frauen und Männern mit Behinderungen voneinander unterscheidet. Heidemarie Egger leitet das Kompetenzteam Frauen mit Behinderungen des Österreichischen Behindertenrats, ist zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit im Verein zur Unterstützung des Unabhängigen Monitoringausschuss und ist Mitgründerin von FmB – Interessenvertretung Frauen* mit Behinderungen.
Warum ist es wichtig, sich die Situation von Frauen mit Behinderungen genauer anzusehen?
Heidemarie Egger: Ich glaube, dass die Lebensrealität von Frauen mit Behinderungen oft übersehen wird. Es fehlt zum Beispiel das Verständnis, dass ein Podium noch nicht divers genug ist, wenn ein Mann mit Behinderungen eingeladen wird. Nicht, weil Männer mit Behinderungen keinen guten Job machen, sondern aus dem Grund, dass Frauen mit Behinderungen andere Erfahrungen machen. Und diese Erfahrungen werden oft unsichtbar gemacht.
Warum fehlt es an diesem Verständnis?
Was die Informationslage anbelangt, sind wir in Österreich immer noch irgendwo am Anfang. Das heißt, es gibt kaum institutionalisiertes Wissen zum Thema Frauen mit Behinderungen. Es wird immer wieder von Neuem begonnen darüber nachzudenken. Aber eigentlich sollten wir hier schon sehr viel weiter sein. Es gibt zwar Beratungsorganisationen, die speziell für Frauen mit Behinderungen sind und wichtige Arbeit leisten, aber es sind noch viel zu wenige.
Auch mir ist aufgefallen, dass es wenige Daten und Erhebungen gibt. Tut sich in dem Bereich etwas?
Es gibt mittlerweile immerhin drei Studien zu Frauen mit Behinderungen. Aber wir können überhaupt noch nicht von einer ausreichenden Datenlage sprechen.
Eine der drei Studien, durchgeführt von L&R Sozialforschung und dem AMS, beleuchtet die Situation von Frauen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt. Was sind die größten Herausforderungen in dem Bereich?
Es fehlt an spezifischen Angeboten, die Frauen mit Behinderungen stärken. Es fehlt an Rahmenbedingungen, die auf die komplexen Lebensrealitäten Rücksicht nehmen. Darauf, dass man Care Arbeit leisten muss. Darauf, dass man mit gesellschaftlichen Bildern konfrontiert ist, die einem Leistungsfähigkeit absprechen. Dass einem gesagt wird: Du brauchst keine Ausbildung zu machen, bleib doch einfach zuhause. Ich habe den Eindruck, dass Männer mit Behinderungen eher gestärkt werden. In den seltensten Fällen sitzen Frauen mit Behinderungen in Gremien, die Entscheidungen treffen oder in leitenden Positionen. Das ist auch in Organisationen so, wo es explizit um Menschen mit Behinderungen geht. Wenn dort in Panels nur Männer sitzen, fällt das niemandem auf. In anderen Bereichen wäre das so heute nicht mehr möglich.
Ein Hindernis ist außerdem der Weg dahin, einen Status als Person mit Behinderungen zu bekommen. Es ist ein regelrechtes Glücksspiel. Viele Frauen, die eigentlich Frauen mit Behinderungen sind, schrecken vor diesem Weg berechtigterweise zurück. Die Folge: Nicht jede Frau mit Behinderungen hat einen offiziellen Status als solche. Den braucht man aber für viele Unterstützungsleistungen. Und da schließt sich der Kreis der Probleme und Frauen mit Behinderungen erhalten nicht die richtige Unterstützung. Und auch für Unternehmen fallen Leistungen weg, die bei der Einstellung dieser Frauen unterstützen.
Was braucht es denn konkret, damit Frauen mit Behinderungen besser arbeiten können?
Ich glaube, dass Flexibilität im Arbeitsbereich sehr wichtig ist. Dass man selbst entscheiden kann: Wann arbeite ich und wie viel arbeite ich? Wir müssen außerdem anerkennen, dass man als Frau mit Behinderungen viele Stunden daran arbeitet, Barrieren abzubauen. Man muss sich die Assistenz organisieren, man muss sich Unterstützungen organisieren, man muss Anträge schreiben. Das ist wie ein Nebenjob. Und das Ganze fängt schon bei der Ausbildung an. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass viel mehr Männer mit Behinderungen Ausbildungsprogramme nutzen als Frauen mit Behinderungen.
Wie ändern wir etwas an dieser Situation?
Ich glaube, dass Peerberatung sehr wichtig ist, also dass Frauen mit Behinderungen andere Frauen mit Behinderungen beraten. Manchmal braucht es einen Safe Space im Miteinander, um Barrieren und Problemlagen bewusst als solche erkennen zu können.
Das ist ein spannender Punkt. Als Frau mit Behinderung und Kind zuhause habe ich nach dem Studium Schwierigkeiten gehabt, mich am Arbeitsmarkt zu orientieren. Es hat lange gedauert, bis ich verstanden habe: Es liegt nicht an mir, das ist ein strukturelles Problem.
Das ist eine wichtige Erkenntnis: Es ist nicht dein individuelles Schicksal. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Versagen, das zu deinen Barrieren führt.
In Diskussionen rund um New Work merke ich, dass da vieles dabei ist, das auch für Frauen mit Behinderung positiv wäre. Siehst du das ähnlich?
Total. Was ich sehr interessant finde, ist die Idee von Top-Job-Sharing, also wenn sich zwei Personen eine leitende Position teilen. Es ist auch wichtig zu hinterfragen, so viel wie möglich arbeiten zu müssen und dann am Wochenende nur im Bett zu liegen. Auch die Flexibilisierung allgemein, mit Homeoffice-Möglichkeiten, mit der Option unterschiedlich viele Stunden zu arbeiten – das ist gerade für Frauen mit Behinderungen sehr attraktiv und kann Karrierewege ermöglichen. Es hakt noch an der Umsetzung dieser Ideen.
Die Frage muss sein: Wie schaffe ich es, gesund und langfristig in den besten Rahmenbedingungen gute Arbeit leisten zu können?
Was wäre deine Antwort auf diese Frage?
Ich glaube, da kann man viel lernen von Menschen und Frauen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen. Das ist nämlich unser Daily Business. Als Frau mit chronischen Erkrankungen muss ich ein System haben, wo ich weiß: Ich habe alles so niedergeschrieben, dass jemand anderer das übernehmen kann, sollte ich ausfallen. Ich überlege langfristig, wie ich Anhäufungen vermeide. Weil eine Nacht durcharbeiten kann ich nicht.
Gab es in den letzten Jahren konkrete Entwicklungen am Arbeitsmarkt, die sich positiv auf die Situation von Frauen mit Behinderungen in Österreich ausgewirkt haben?
Durch die Pandemie haben wir gelernt, dass Homeoffice gut funktioniert und verantwortungsvolles Arbeiten so möglich ist. Das war ein wichtiger und großer Schritt. Es ist eine große Erleichterung, wenn Anfahrtswege wegfallen und die Möglichkeit besteht, auch kurzfristig ins Homeoffice zu wechseln. Und man muss schon sagen, dass das Bewusstsein in den letzten Jahren, dass Frauen mit Behinderungen spezifisch zu adressieren sind, gewachsen ist.
Gibt es auch Entwicklungen, die in eine ganz falsche Richtung gehen?
Ich habe das Gefühl, dass es manchen schwer fällt, beim Thema zu bleiben. Wenn über Frauen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt gesprochen wird, entwickeln sich diese Gespräche sehr schnell zu allgemeinen Diskussionen über Menschen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt und der Fokus auf Frauen fällt weg.
Wir haben über Mehrfachbelastung und Intersektionalität gesprochen. Gibt es Erhebungen und Daten zu den Lebensrealitäten von Schwarzen Frauen mit Behinderungen, queeren Frauen mit Behinderungen, Transpersonen mit Behinderungen?
Davon sind wir leider noch weit entfernt. Hier müssen wir noch viel voneinander lernen, in Zusammenarbeit mit Interessensvertretungen von Women of Colour und der queeren Community.
Um das Ganze mit einem empowernden Gedanken abzuschließen: Wie können sich Frauen mit Behinderungen den Raum verschaffen, um Gehör zu finden?
Wenn wir Frauen mit Behinderungen anfangen uns als Community zu verstehen und einander empowern. Wenn wir auf Bühnen gehen, wenn wir präsent sind, wenn wir uns einsetzen, da sehe ich eine starke Kraft darin. Katrin Langesiepen, Europaabgeordnete und erste Frau mit sichtbarer Behinderung im Europäischen Parlament, hat gesagt: Bildet Banden! Und ich habe das Gefühl: Ja, wir sind eine Bande.
Über die Autorin
Sandra Schmidhofer ist Teil des Kommunikations-Team bei myAbility – einem Sozialunternehmen, das sich für Inklusion in der Wirtschaft und am Arbeitsmarkt einsetzt. Nebenbei arbeitet sie als Journalistin und recherchiert zu Sozialer Gerechtigkeit und Inklusion.