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“100 % Behinderung heißt nicht 0 % Leistungsfähigkeit.”

Liebe Lena Öllinger, wie ist Ihr Werdegang und wie sind Sie zu myAbility gekommen?

Ich bin jetzt seit März 2018 bei MyAbility. Davor war ich in unterschiedlichen Funktionen tätig. Zuerst im Handel, dann bin ich kurz in eine Anwaltei, danach habe ich in den Sozialbereich gewechselt zur Caritas und habe dort die unterschiedlichsten Führungsebenen durchlebt. Dann habe ich eine Management-Ausbildung gemacht und gewechselt und war fünfeinhalb Jahre CEO einer großen Gesundheits GmbH der Stadt Wien. Dort musste ich leider aufhören, weil meine Behinderung so weit fortgeschritten ist, dass ich diese 24/7 Erreichbarkeit und die vielen Stunden als CEO nicht mehr geschafft habe. Ich habe das Usher-Syndrom, ich wurde mit einer Hörminderung geboren und bin mittlerweile seit ca. 10 Jahren taub. Und ich bin auf einem Auge blind, auf dem anderen sehe ich 2 Prozent.

Barrierefreiheit ist ganz wichtig, aber die allergrößte Barriere sind die Köpfe, die Haltung der Menschen.

Am 3. Dezember ist der Tag der Menschen mit Behinderungen, im Zuge dessen startet auch die Purple Light Up Kampagne. Worum geht es bei dieser Kampagne und was ist ihr Ziel?

Genau, am 3. Dezember ist der internationale Tag für Menschen mit Behinderungen, an dem darauf aufmerksam gemacht werden soll, wo es Menschen mit Behinderungen überhaupt gibt, denn viele werden ja gar nicht gesehen, dass die Menschen Barrieren vorfinden in der Umgebung und dass nicht die Behinderung die Behinderung ist, sondern die fehlende Barrierefreiheit. Also, wenn ich mit einem Rollstuhl fahre und ich habe vor mir drei Stufen, die ich überwinden muss, ist die Behinderung jene, dass ich mit diesem Rollstuhl nicht hinauf fahren kann. Wenn dort eine Rampe ist, kann ich hinauf fahren und bin auch nicht mehr behindert.

Das gilt für verschiedenste Lebensbereiche. Barrierefreiheit ist ganz wichtig, aber die allergrößte Barriere sind die Köpfe, die Haltung der Menschen. Und somit ist dieser Tag extrem wichtig für die Community. Die britische Organisation Purple Space hat mit Kate Nash den Purple Light Up Day ins Leben gerufen, um Unternehmen, Kommunen, Länder und Staaten dafür zu gewinnen, ein sichtbares Zeichen zu setzen. Und zwar so, dass man Gebäude oder Kunstwerke lila anstrahlt, damit man schöne Bilder erzeugt, die um die Welt gehen. Und weil das in England wahnsinnig erfolgreich gewesen ist, hat es sich sehr schnell weltweit ausgedehnt. Im deutschsprachigen Raum koordiniert myAbility die Kampagne, wo Unternehmen kostenlos mitmachen und Zeichen setzen können.

Ich darf seit fast zwei Jahren Botschafterin sein, Purple Light Up Ambassador, um für die Aktion zu werben, Unternehmen zu finden, und auch Rat und Tat zu unterstützen, beziehungsweise auch mein Wissen und die eigene Erfahrung zur Verfügung stellen, damit das Thema in den Unternehmen und in den staatlichen Organisationen präsenter wird.

Was ein Mensch mit Behinderung leisten kann, kann man von außen nie erkennen.

Wie können Unternehmen aktiv an der Purple Light Up Kampagne teilhaben und was ist ihre wichtigste Massage?

Das ist ganz einfach, auf unserer Website gibt es einen Link, da registriert man sich und dann ist man schon dabei. Natürlich sollte man auch aktiv was machen. Die ursprüngliche Idee von Purple Light Up war ja, etwas anzustrahlen, aber das geht oft gar nicht bzw. plädiere ich sogar dafür, dass man dafür keine Energie verschwenden soll, sondern dass man auch im Kleinen Zeichen setzt. Viele Unternehmen haben zum Beispiel ein eigenes Banner auf der Webseite oder sie machen einen Beitrag auf Social Media. Der sechste Wiener Bezirk hängt zum Beispiel lila Stoffe ins Fenster des Amtsgebäudes, das hat nicht viel gekostet und ist ein schönes Zeichen und ein wichtiges Statement. So kleine, einfache Aktionen zeigen, dass jeder mitmachen kann und sie zeigen Haltung für Menschen mit Behinderung: Nämlich, dass sie im Fokus stehen und nicht am Rand, also praktisch ein Zeichen für Inklusion.

Die wichtigste Message ist die Selbstständigkeit, also die wirtschaftliche Selbstbestimmtheit, dass ich arbeiten kann, wo ich will und nicht, was mir vorgegeben wird, dass mir niemand ansehen kann, “die kann ja nicht am Computer arbeiten”. Natürlich arbeite ich am Computer, ich arbeite eben mit Hilfsmitteln. Was ein Mensch mit Behinderung leisten kann, kann man von außen nie erkennen.

In meinem Gutachten zur Arbeitsfähigkeit steht zum Beispiel drinnen, dass ich einen hundertprozentigen Grad der Behinderung habe und dass ich maximal noch Preisetiketten in einer geschützten Werkstätte kleben kann. Geschützte Werkstätten bedeuten null Prozent Leistungsfähigkeit, das ist eine Beschäftigungstherapie und keine Arbeit. Ich mache meinen Job wie alle meine Kolleg:innen auch. 100 Prozent Behinderung heißt nicht null Prozent Leistungsfähigkeit. Darauf aufmerksam zu machen, ist ganz wichtig.

Alle aus unserer Community haben schlechte Erfahrungen bei Bewerbungen.

Mit welchen Barrieren und Vorurteilen sind Menschen mit Behinderung in der Arbeitswelt konfrontiert?

Die Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderung ist doppelt so hoch und bei Frauen sogar noch höher. Die Gründe dafür sind zum einen sehr viele Vorurteile und zum anderen sehr schlecht beschriebene Jobs. Das heißt, alle aus unserer Community haben schlechte Erfahrungen bei Bewerbungen. Weil wenn man da reinschreibt, “ich habe eine Behinderung”, oder spätestens beim ersten Gespräch, hat man schon zu 99 Prozent ein Nein.

Und deswegen bewerben sich viele nur, wenn es für sie klar ist, dass das Unternehmen weiß, was es tut und dass es für Menschen mit Behinderung offen ist. Dafür muss man sehr viel recherchieren, zum Beispiel auf der Webseite. Auch die Ausschreibung gibt einiges her, wenn da zum Beispiel steht, Menschen mit Behinderung werden eingeladen, sich zu bewerben oder an wen man sich wenden kann, wenn es Fragen zur Barrierefreiheit gibt. Das ist auch keine Bevorzugung. Und allein dieser Hinweis reicht aus, dass die Bewerber:innen sagen, ja, da probiere ich es.

Und dann kommt die zweite Hürde, nämlich wenn ich mir anschaue, was muss ich tun? Ich muss es ja einschätzen können. Wenn ich mir Stellenausschreibungen ansehe, dann steht da im Anforderungsprofil, stressfrei sein, belastbar, kommunikativ, teamfähig, aber man weiß nicht, was eigentlich genau zu tun ist. Wenn da aber verlangt ist, dass ich einen Tag pro Woche zu einem anderen Standort fahren muss, wo es vielleicht keinen öffentlichen Verkehr gibt, also wo ich mit dem Auto anreisen müsste, dann kann ich das nicht machen. Nicht, weil ich die Arbeit nicht kann, sondern weil ich nicht Auto fahren kann. Und das sind einfach so klassische Fehler. Wenn ein Job gut beschrieben ist, dann ist die Einschätzung auch leichter, schaffe ich das oder schaffe ich es nicht.

Können Sie uns einen kleinen Überblick geben, wie Österreichs Unternehmen in Sachen Inklusion und Barrierefreiheit dastehen? Gibt es positive Beispiele, die herausstechen?

Da gibt es ganz, ganz große Unterschiede. Tendenziell haben wir allgemein bei der Barrierefreiheit ein Stadt-Land-Gefälle. Die Stadt Wien ist sehr barrierefrei, auch international gesehen. Sie ist eines der Vorbilder, gerade was den öffentlichen Verkehr betrifft oder Blindenampeln und abgesenkte Gehsteigkanten. In anderen Bundesländern gibt es zum Beispiel gar nichts, oder fast nichts. Und genauso ist es auch bei Unternehmen, egal ob es große oder kleine sind. Es gibt auch Kleinunternehmen, die wahnsinnig inklusiv und barrierefrei sind, und es gibt Großkonzerne, die es nicht sind. Aber tendenziell kann man sagen, dass immer mehr Konzerne erkennen, dass Inklusion ein Vorteil für sie ist. Stichwort Fachkräftemangel.

Immer mehr Konzerne erkennen, dass Inklusion ein Vorteil für sie ist.

Ein Pharmakonzern hat Chemiker:innen und Laborant:innen gesucht, die konnten nicht besetzt werden, weil sich keiner beworben hat. Über unsere Jobplattform ist dann jemand eingestellt worden. Das sind Erfolge, weil eine andere Zielgruppe erschlossen wird. Die ganzen ESG-Maßnahmen, das Berichtswesen, die Nachhaltigkeit, Code of Contract, wo nicht nur geschaut wird, wie nachhaltig ein Unternehmen ist, sondern auch wie inklusiv es ist, das muss im Bericht tatsächlich erwähnt sein. Auch aus diesem Grund wird mehr gemacht, aber natürlich auch aus gesellschaftlicher Verantwortung. Es ist eine Vielfalt von Gründen und somit geht das schon in die richtige Richtung, aber es ist noch ganz viel zu tun.

Wenn man sich den deutschsprachigen Raum anschaut, ist Deutschland auch eine Großbaustelle. Es gibt natürlich Dinge, die viel besser sind, aber auch einige, die viel schlechter sind als in Österreich, das kann man nicht so generell sagen. Meine Kunden sind hauptsächlich Großkonzerne und staatliche Einrichtungen und wenn ich mir zum Beispiel die ÖBB anschaue, dann ist sie ein Role Model, wie man Inklusion lebt. Natürlich haben sie es viel früher lernen müssen, weil es ganz viele Arbeitsunfälle gab und sie diese Personen nicht kündigen wollten, aber trotzdem machen sie ganz viel im Bereich der Inklusion. Auch die Bank Austria beschäftigt sich schon seit 15 Jahren mit dem Thema Inklusion und Barrierefreiheit. Da sind wirklich alle Filialen barrierefrei, es gibt gebärdensprachkompetente Bankberater:innen, am Telefon geht es mit Gebärdensprache und die Automaten sind für Blinde und Sehbehinderte gut nutzbar.

Auch bei staatlichen Gebäuden, zum Beispiel beim Parlament, sieht man, dass es ganz wichtig ist, inklusiv und barrierefrei zu bauen. Zum einen durch den Umbau, aber zum anderen auch, dass Ganze inklusiv zu betreiben. Das heißt, dass Sitzungen, Ausstellungen und alles, was sie anbieten, barrierefrei ist. Und da sieht man schon, dass viel passiert. Auf der anderen Seite gibt es wieder öffentliche Gebäude, die gar nicht barrierefrei sind oder ganz viele Fehler haben. Das hängt natürlich ganz stark von den handelnden Personen ab, wie engagiert sind sie und vor allem von der Geschäftsführung.

Wenn die Geschäftsführung nicht dahintersteht, hat man ein Problem in der Umsetzung. Es gibt immer Widerstände, „das haben wir immer so gemacht“. Führungskräfte müssen sich vielleicht auch mit anderen Themen auseinandersetzen. Veränderung ist für Menschen schwierig. Das ist ein großes Hindernis. Auch ein ganz wichtiger Punkt ist, dass Inklusion und Barrierefreiheit ein ständiger Prozess sind. Natürlich ist der Aufwand am Anfang höher, weil wenn man schon Awareness hat, funktioniert das auch leichter, aber es ist nie fertig.

Warum haben Unternehmen Bedenken und was sind die Hauptgründe für die geringe Bereitschaft, Menschen mit Behinderungen anzustellen?

Das erste ist, „wir sind nicht barrierefrei“. Das kann man natürlich ändern. Aber auf der anderen Seite geht es auch um Wissen. 18,4 Prozent der Österreicher:innen haben laut Statistik Austria eine Behinderung. Nur 0,5 Prozent der Bevölkerung nutzen einen Rollstuhl. Das ist der verschwindendste Teil. Das heißt, es sind noch 17,9 Prozent an Menschen mit Behinderung, die nicht diese Rampe und diesen Lift brauchen. Das typische Bild ist Rollstuhl und Blindenstock, aber das zusammen sind nicht einmal 3 Prozent von diesen fast 20 Prozent. Zum Beispiel Epilepsie, Diabetes, diverse chronische Krankheiten können auch in gewissem Grad eine Behinderung sein, die relevant sein können für die Arbeit. Aber das wird natürlich nicht gesehen.

Menschen mit Behinderung können alles sein, so wie die ganze Gesellschaft.

Der zweite ganz große Mythos ist die Leistungsfähigkeit. Menschen mit Behinderung werden als anstrengend gesehen, weil sie viel mehr Aufmerksamkeit brauchen, viel mehr Krankenstände brauchen, weil sie nicht leisten können, und das sage ich jetzt bewusst, “wie ein normaler Mensch”. Und dann gibt es natürlich immer wieder Sätze wie, „wir haben einmal so eine schlechte Erfahrung gemacht mit …“

Menschen mit Behinderung sind nicht arme, bemitleidenswerte Leute, die immer lieb sind. Menschen mit Behinderung können alles sein, so wie die ganze Gesellschaft. Es gibt nette, es gibt fleißige, es gibt faule, es gibt dumme, gescheite. Dieses Bild ist einfach falsch, was da gezeigt wird und was von der Öffentlichkeit auch so übernommen wird. Wenn ein Unternehmen schlechte Erfahrungen mit einer männlichen Führungskraft gemacht hat, wird es auch nicht sagen, wir stellen keine Männer mehr ein.

Was könnte zu einem positiven Wandel in Richtung Inklusion und Barrierefreiheit beitragen?

Es braucht mehr Awareness. Ich glaube, das ist einer der wichtigsten Punkte. Was aber auch ganz wichtig ist, ganz viele Menschen haben eine Unsicherheit. Wie geht man mit Menschen mit Behinderung um? Kann man sie darauf ansprechen? Mein Blindenstock hat schon oft Berührungsängste ausgelöst. Und ich glaube, Sensibilisierungstrainings sind wichtig für den Umgang und um zu lernen, wie spreche ich Menschen an.

Auch über Sprache kann man ganz viel beitragen, dass man einen wertschätzenden, respektvollen, achtsamen Umgang pflegt. Am besten ist immer zu denken, wie möchte ich selbst behandelt werden? Wenn ich irgendwo etwas unterschreiben muss, passiert es mir sehr oft, dass die Person hinter dem Tresen mir den Stift aus der Hand nimmt und selber unterschreibt. Man kann mich fragen, soll ich für Sie unterschreiben, das ist natürlich ok. Aber einfach aus der Hand nehmen und machen, das ist nicht selbstbestimmt. So etwas muss wahrgenommen werden.

Unsicherheit ist die größte Hürde und die größte Barriere.

Und ich sage nicht, dass die Menschen dumm sind oder Vorurteile haben. Vorurteile schon, aber jetzt eher positive Vorurteile. Das ist einfach das Bild der Gesellschaft und die Unsicherheit. Und diese Unsicherheit ist die größte Hürde und die größte Barriere, die wir in der Gesellschaft haben.

Wie kann man den Menschen diese Unsicherheit nehmen?

Es ist so, dass wir eher noch in der Welt der Integration sind, wo wir für Menschen mit Behinderungen quasi so eine eigene Ecke geschaffen haben, wo die Sonderschulen drin sind, die Werkstätten und die besonderen Jobs. Manche Unternehmen haben immer noch blinde Leute, die immer ans Telefon gehen.

Wenn wir eine Inklusion haben, dann begegnet man sich immer wieder und man merkt und lernt, miteinander umzugehen. Wir sehen es bei Unternehmen, die eine sehr hohe Quote haben an Menschen mit Behinderung, da ist es einfach, weil es ein anderes Miteinander gibt.

Und dann ist es wichtig, bei den Schulen anzusetzen. Es ist ganz wichtig für beide Seiten, sowohl für die Kinder mit Behinderung als auch für die Kinder ohne Behinderung, miteinander zu lernen und aufzuwachsen. Und deswegen ist es absolut notwendig, dass die Schulen inklusiv sind. In Inklusionsklassen sind die Kinder beieinander. Mein Sohn war in einer Inklusionsklasse in der Volksschule und das war genial. Wenn es ganz elitär ist und Kinder mit Behinderung in einer Sonderschule sind, dann wird sich nichts ändern. Oder es fehlen inklusive Spielplätze. Wenn wir die Spielplätze barrierefrei gestalten, dass auch Kinder mit Behinderung spielen können, wird das auch sichtbarer. Derzeit laufen die Leben eher parallel, sie sollten sich aber ab und zu kreuzen. Und dafür gibt es keine Chance derzeit.

Welche Unterstützung gibt es für Unternehmen und wie sieht die Funktion als Berater für Barrierefreiheit und Inklusion bei myAbility aus?

Viele möchten ein betriebliches Sensibilisierungstraining haben, das ist sehr häufig. Oder Unternehmen inserieren auf unserer Karriereseite. Das sind die zwei Hauptbereiche. Der ideale Prozess ist der, dass wir mit einer Bestandanalyse anfangen und daraus dann Maßnahmen planen, die über einen Zeitraum, der mit der Firma zu definieren ist, abgearbeitet werden. Zuerst machen wir eine Standortbestimmung, was ist schon da und was fehlt. Und daraus schlagen wir einen Maßnahmenplan vor für die Bereiche Inklusion, Awareness, und baulich. Bei Gebäuden ist es zum Beispiel viel günstiger, wenn die Barrierefreiheit gleich beim Neubau mitgedacht und umgesetzt wird.

Ich fühle mich auch nicht behindert, obwohl ich eine Behinderung habe.

Was möchtest du Unternehmen und Menschen mit Behinderung noch mitgeben?

Ich höre oft, „trotz deiner Behinderung gehst du arbeiten“. Ich gehe arbeiten, weil ich Spaß daran habe, weil mir das Thema wichtig ist, ich möchte es unter die Leute tragen, die Kolleg:innen sind nett und ich möchte Geld verdienen. Damit ich etwas leisten kann. Und das hat nichts mit „trotz Behinderung“ zu tun. Ich fühle mich auch nicht behindert, obwohl ich eine Behinderung habe. Manchmal schon natürlich, wenn ich irgendwo runterfliege oder was nicht finde, aber im Alltag ist das gar nicht präsent.

 

Zur Person:

Lena Öllinger ist Senior DisAbility Management Consultant bei myAbility, zertifizierte Expertin für Barrierefreies Bauen und Vorstandsmitglied im Forum Usher-Syndrom, Hörsehbeeinträchtigung und Taubblindheit.

Über Purple Light Up:

Am 3. Dezember ist der Internationale Tag der Menschen mit Behinderungen und die jährliche globale Kampagne #PurpleLightUp. Die Kampagne nutzt den Aktionstag, um das Thema ökonomische Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen in den Fokus zu rücken und ruft Organisationen dazu auf, ein sichtbares Zeichen für Inklusion zu setzen.

Seit einigen Jahren erstrahlen zahlreiche Firmensitze, öffentliche Gebäude und Wahrzeichen am 3. Dezember in Purple (Lila). Damit setzen sie ein Zeichen für die ökonomische Selbstbestimmung und wirtschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und feiern deren wirtschaftlichen Beitrag.

Inzwischen liegt der Fokus der Aktionen überwiegend auf Beiträgen und Inhalten auf Social Media sowie auf internen und externen Veranstaltungen. So setzten 2022 mehr als 200 Unternehmen und Institutionen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz ein starkes Zeichen für die Inklusion von Menschen mit Behinderungen. Rund um den 3. Dezember sind unter dem gemeinsamen Hashtag #PurpleLightUp zahlreiche Aktionen geplant. Das Social Enterprise myAbility organisiert seit 2019 die globale Kampagne #PurpleLightUp im deutschsprachigen Raum.

Mehr Informationen finden Sie unter: https://www.myability.org/wir/partnerschaften/purplelightup

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Inklusive Sprache in Markenbotschaften – No-Go oder Pflicht?

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Viele Menschen pflegen ein morgendliches Ritual, um voll positiver Energie in den Tag zu starten. Meines festigte sich mit der jahrelangen Angewohnheit, bei einem starken Kaffee die Überschriften der üblichen großen Zeitungen Deutschlands zu überfliegen und in den ein oder anderen Artikel tiefer einzutauchen. So weit, so normal. Im letzten Jahr jedoch hat sich dieses Morgenritual in etwas gedreht, das mich mit erhöhtem Puls und wenig guter Laune zurücklässt, ja, mich oft den Tag über beschäftigt.

Mein Interesse an einem Thema und die erstaunliche Dynamik, die sich entwickelt, wenn man tiefer in eine Bubble eintaucht, waren der Auslöser für diese Veränderung. Das Thema: inklusive Sprache. Erst widmete ich mich dem Lesen der Fachbeiträge und Interviews, die an der ein oder anderen Stelle auftauchen, denn als Marketer ist es meine Pflicht zu wissen, wie sich Themen wie diese aktuell entwickeln und als leidenschaftliche Leserin mein Anliegen, Sprache zu verstehen. Doch dann übertrat ich die Schwelle in die Kommentarspalte und schon war es um mich geschehen.

Eine neue Angewohnheit, die mich nicht nur in durch die deutsche Medienlandschaft, sondern auch weiter in die Untiefen der Sozialen Medien führte – ich mache bis heute vor keinem Instagram-Post oder Subreddit zum Thema mehr Halt. Die Reaktionen, die ich auf manche gendernde Posts unserer Kund:innen wie OTTO und Disney erlebte, unterwegs im breitesten, deutschen Mainstream, bekamen für mich nun mehr Kontext. 

Meine persönliche Haltung lässt sich leicht aus dem letzten Satz herauslesen, doch diese muss derzeit nicht allgemeingültig sein. Darum stelle ich hier die Frage: Gibt es eine Verpflichtung, als werbetreibende Marke, gesellschaftliche Themen, abseits von Religion und Politik, aufzugreifen und vielleicht sogar Stellung dazu beziehen? Oder ist gerade die Marke mit hoher Markenbekanntheit ein Neutrum, die Schweiz der Kommunikation? Und falls nein, wie könnte man sich dieser Verpflichtung stellen?

Drei gedankliche Anstöße zum Thema

Viel Wind oder ein echtes Problem?

Es ist erstaunlich, mit wie viel Energie sich Menschen an inklusiver Sprache aufreiben können. Die Anzahl an Beiträgen und Kommentaren von Expert:innen, Trollen und echten empörten Bürger:innen, die Wörter um sich streuen wie „Missionierung“, „Zwang“, „Diktatur“ und gar mit der Auflösung von Konten und Kaufverweigerung drohen, stellt sogar so manchen Beitrag mit hoher politischer Brisanz in den Schatten. Die verwundete Fragilität mancher Blasen zeigt, dass es ein Thema ist, das mehr bewegt als so manche:r zugeben möchte. Und das auch einige betrifft: Frauen wurden bislang mit dem generischen Maskulinum mitgemeint, also immerhin 50,7 % der Gesellschaft (Statista), aber auch alle, die sich keinem binären Geschlecht zuordnen können oder wollen. Noch einmal etwa 100.000 Menschen mehr (dgti).

Eigentlich ist Gendern ein furchtbar trockenes Thema und auch kaum aufwändig, doch die aufgeregte Diskussion beweist, dass es nicht die Ursache, sondern das Symptom einer tieferliegenden, gesellschaftlichen Haltungsverschiedenheit ist. Wie die Autorin Charlotte Suhr anmerkt, geht es für die einen um existenzielle Rechte, für die anderen um ihre privilegierte Stellung in der Gesellschaft. Und wir wissen auch, dass weniges Bestand hat, vor allem Sprache. Der Wandel steht also vor der Tür.

Bei solchen Themen gibt es für Marken eigentlich nur zwei Wege: komplette Ignoranz oder ein Aktivwerden – in beiden Fällen mit allen Konsequenzen.

Eine Marke für die meisten oder für alle?

Nun kann man sich die Frage stellen: Bin ich eine Marke für alle, oder schließe ich Teile meiner potenziellen Zielgruppe bewusst aus? Denn, da die Debatte nun stattfindet, kann man nicht mehr von einem versehentlichen, weil gelerntem, Nicht-mit-Meinen sprechen. Mit jeder Formulierung wird nun aktiv eine Seite bezogen. Wenn man annimmt, dass repräsentative Umfragen mit 1000 Personen tatsächlich die unverzerrte Meinung des deutschen Schnitts darstellen, ist es interessant, sich zum Beispiel die letzte WDR-Umfrage anzusehen. 62% finden das Thema heute weniger wichtig bis gar nicht wichtig. Je jünger die befragte Gruppe wird, desto wichtiger wird gendergerechte Sprache jedoch und das Bild verschiebt sich auf einmal.

Nun wissen wir aber auch, wie unmöglich es ist, von allen geliebt zu werden. Es ist also eine Frage der Haltung und des Aushaltens von Gegenwinds. Eine Frage danach, wie sehr man auf eine Zielgruppe unter 30 setzt. Wie sehr man der „Sapir-Whorf-Hypothese“ glaubt. Wie viel traut sich das Unternehmen zu? Wie weit schaut es in die Zukunft? Wie sehr traut es sich, voranzugehen?

Kontinuität vs. Reaktivität

„Müsst ihr denn jeden Trend mitmachen?“ Ein häufig gesehener Kommentar, der tatsächlich angebracht ist. Die Welle an plötzlicher Wokeness in der Werbung, vom Einsatz von Models aller Ethnien und Gewichts- und Altersklassen bis hin zu genderinklusiver Sprache, ist bemerkenswert. Und es stellt sich die Frage, ob etwas, das als normale Akzeptanz einer vielfältigen Gesellschaft gesehen werden sollte, als Trend verkommen kann. Meinen es diese Unternehmen ernst, oder werden sie wieder weißer, männlicher, konformer, sobald das allgemeine Interesse nachlässt? Hier lässt sich die Verwirrung mancher Konsument:innen nachvollziehen und ich verstehe sie weniger als eine Aufforderung, inklusive Sprache sein zu lassen, sondern die Kontinuität in das eigene Unternehmen hinein zu hinterfragen. Wie sehr entsprechen seine Werte und, noch wichtiger, Taten, dem Gezeigten?

Wenn man sich denn entscheidet, diesen kommunikativ mutigen Schritt zu gehen, wo beginnen?

Gemeinplatz Neutrum

Für die, die sich nicht ganz offensichtlich entscheiden wollen, gibt es immer noch, die manchmal flüssige, manchmal sperrigen neutrale Begriffe wie „Lesende“ oder Formulierungen, die eine Geschlechtsnennung ganz umgehen wie „alle, die mitlesen“.

Doppelt eindeutig

Eine Stufe weiter geht die Doppel-Nennung „Leser und Leserinnen“, meiner Ansicht nach nicht schön, aber zweckmäßig. Übrigens auch die Variante, die laut vorhin genannter WDR-Studie am wenigsten Kontroversität hervorruft.

Sternchen, Doppelpunkte, Unterstriche

Letztendlich meist am kürzesten, aber auch am leichtesten integrierbar: die Doppel-Kurzform wie „Leser:innen“. Meint alle mit, lässt jedoch auch keinen Deutungsfreiraum über die Haltung der Marke.

Kurz gesagt: 

Inklusive Sprache ist ein kleiner Schritt für Marken, der mit wenig Aufwand vieles bewegen kann – jedoch Kontinuität, Konsequenz und Haltung erfordert. 

 

Über die Autorin

Eva McKinnon ist Senior Vice President bei WongDoody, für das auf Consumer Marketing und Retail spezialisierte Team in EMEA. Zu den Kund:innen zählen OTTO, bonprix, Adidas, The Walt Disney Company, ROLF BENZ und Pierre Fabre. In Co-Kreation mit ihnen entwickelt das 70-köpfige Team von WongDoody Marken, digitale Lösungen, Kampagnen und Liquid Content. Das Ziel sind ganzheitliche Ökosysteme, die Marken mit Kunden verbinden, Markenloyalität fördern und gleichzeitig starke Kaufimpulse liefern.

Mission Female GmbH

Mission Female bietet erfolgreichen Frauen ein exklusives Netzwerk von Vertrauen und Austausch auf Augenhöhe und stärkt sie aktiv bei ihrer persönlichen und beruflichen Entwicklung. Dabei engagiert sich das 2019 von Frederike Probert gegründete Business-Netzwerk aktiv für mehr Female Power in Wirtschaft, Gesellschaft, Medien, Kultur, Sport und Politik und vereint erfolgreiche Frauen branchenübergreifend auf höchster Ebene mit einem Ziel: Gemeinsam beruflich noch weiter voranzukommen. Immer persönlich, vertraulich und verbindlich ganz nach dem Motto #strongertogether.

https://www.missionfemale.com/ 

Quellen:

https://www1.wdr.de/nachrichten/gender-umfrage-infratest-dimap-100.html
https://www.instagram.com/p/CZjaWBAs64D/?utm_source=ig_web_copy_link&igshid=MzRlODBiNWFlZA%3D%3D
https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/otto-versand-gendersternchen-sorgt-fuer-aufregung-a-05a1af16-4e28-4c37-ba6d-2005c9d8f5a3
https://www.facebook.com/EdekaWollny/posts/4188113087900913?ref=embed_post
https://www.mz.de/panorama/genderneutrale-sprache-in-disneyland-wird-auf-jungs-und-maedchen-verzichtet-3358201

Gleichstellung am Arbeitsplatz: der Europavergleich

Nur in der Türkei, in Zypern und in den Niederlanden ist die Lage von Frauen am Arbeitsplatz noch schlechter als hierzulande: In einer Analyse der britischen Marketingagentur Reboot steht Österreich im Europavergleich an viertletzter Stelle, wenn es um die Chancengleichheit am Arbeitsmarkt geht.

Ausgewertet wurden Daten vom europäischen Institut für Gender Equality, vom Global Gender Report und der World Population Review. Neben der wirtschaftlichen Teilhabe wurden auch die Anzahl der Frauen in Führungspositionen und die bezahlte Elternzeit bewertet. In jeder Kategorie konnten 100 Punkte erreicht werden.

Österreich an viertletzter Stelle

Österreich erzielte insgesamt 100 Punkte für alle drei Kategorien zusammen, davon nur 13,8 Punkte in der Kategorie Frauen in Führungspositionen. Damit sind in Österreich weniger Führungskräfte Frauen als in den drei Ländern, die insgesamt am schlechtesten abgeschnitten haben. Positiv hervorzuheben ist hingegen der Anspruch auf insgesamt 60 Wochen Elternzeit, die durchschnittlich mit 80,3 Prozent des Einkommens vergütet werden. Damit zählt Österreich in Sachen Vereinbarkeit von Job und Familie zu den besten Ländern in Europa. Deutschland liegt im Gesamtscore übrigens auf Platz 12 und damit im Mittelfeld.

Höchste Chancengleichheit in Skandinavien

Die besten Chancen am Arbeitsmarkt haben Frauen in Schweden. Mit einer Gesamtpunktezahl von 241,4 liegt das skandinavische Land klar an erster Stelle. In der Kategorie wirtschaftliche Teilhabe erreichte Schweden die volle Punktzahl und es hat im Europavergleich die höchste Anzahl von Frauen in Führungspositionen. An zweiter Stelle liegt Finnland, gefolgt von Norwegen auf Platz drei.

Das europäische Land mit der geringsten Chancengleichheit ist die Türkei mit 31 von 300 möglichen Punkten. Das ist vor allem darauf zurückzuführen, dass Lohngleichheit und das geschätzte Einkommen im Vergleich zu den Männern mit null bewertet wurde. Positiv anzumerken ist, das die Zahl der Frauen in Führungspositionen zuletzt gestiegen ist.

Nur kleine Fortschritte in Richtung Gleichstellung

Zwar zeigen die Gesamtergebnisse der Analyse dass es Fortschritte gibt, die enttäuschenden Platzierungen von wohlhabenden Ländern wie Österreich oder den Niederlanden bestätigen jedoch, dass es nur langsam vorangeht. Die europäischen Länder stehen nach wie vor vor zahlreichen Herausforderungen, wenn es um die Gleichstellung am Arbeitsplatz geht, die unter anderem das Lohngefälle, die mangelnde Vertretung von Frauen in Führungspositionen, staatliche Anreize und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie betreffen.

Quelle:

https://www.rebootonline.com/digital-pr/assets/best-countries-women-work-europe/

 

 

Hot Friday!? I am in!

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Durch meine langjährige Erfahrung im Bereich HR bei diversen Beratungsunternehmen bin ich mit vielen Mitarbeiter:innen und Bewerber:innen in Kontakt und beobachte den Personalmarkt um Trends zu erkennen und um zu verstehen was Bewerber:innen wichtig ist und worauf sie bei der Wahl ihres neuen Arbeitgebers achten.

„New work“ ist der Sammelbegriff mit dem man neue Arbeitsformen bezeichnet. Als Synonym werden auch die Begriffe wie Arbeit 4.0 oder Arbeitswelt 4.0 verwendet. Hierbei geht es um neue Arbeitskonzepte, die die Zukunft der Arbeit definieren. Darunter fallen Konzepte wie die Vier-Tage-Woche, Homeoffice, Remote Work, Jobsharing, New Leadership, agiles Arbeiten, Design Thinking – um nur die wichtigsten zu nennen.

Zeitgemäße Arbeitsbedingungen

Nach was suchen also Bewerber:innen heute? Was gibt den Ausschlag, ob Bewerber:innen sich für oder gegen ein Unternehmen entscheiden? Neben dem Entscheidungsfaktor „Purpose“ sprich „Welcher Aufgabe werde ich inhaltlich nachgehen?“, „Was ist mein Purpose?“ ist ebenso der Faktor Mensch entscheidend. „Mit wem arbeite ich zusammen?“, „Wer ist in meinem Team?“ und vor allem „Wer ist meine direkte Führungsraft?“. Das sind Fragen die sich Bewerber:innen vorrangig stellen. Denn Menschen folgen Menschen nicht Unternehmen!

Zeitgemäße Arbeitsbedingungen werden, in einer anspruchsvoller und komplexer werdenden Arbeitswelt, immer bedeutsamer. Mitarbeiter:innen müssen zunehmend mehr Aufgaben und Verantwortung übernehmen. Sie müssen Neues Erlernen und sich in fachfremde Themen einarbeiten. Durch den Fachkräftemangel entstehen Personallücken, die entweder nicht schnell genug nachbesetzt oder aus Budgetgründen gar nicht erst besetzt werden können. Wenn zudem Führung, Kultur und Arbeitsprozesse immer herausfordernder werden und sich nichts ändert, führt dies zu Frustration und Überforderung bis hin zum totalen Stress und letztendlich Burnout. Immer weniger Mitarbeiter:innen sind bereit, dies zu akzeptieren. Aufgrund des Arbeitnehmer freundlichen Arbeitsmarktes müssen sie es auch nicht mehr!

Freitags hat man frei

Bevor man also gute Mitarbeiter:innen verliert, sollte man sich mit „new work“ Modellen auseinandersetzen und diese umsetzen. Um neue Mitarbeiter:innen zu gewinnen sollte man diese direkt zu Beginn des Recruiting Prozesses aufzeigen. Meiner Erfahrung nach sprechen  Bewerber:innen ihre Vorstellungen sehr selbstbewusst im Interview direkt an und fordern beispielsweise Part-Time-Lösungen.

Also weg mit dem Obstkorb – es sei denn er wird per Fahrradkurier ins Homeoffice geliefert – aber bitte nicht an einem Freitag, denn der ist HOT! Anders ausgedrückt freitags hat man frei!

In einem Interview wurden wir gefragt, ob unser Unternehmen den „hot friday“ anbieten würde. Für all diejenigen, denen dies kein gängiger Begriff ist, die Bewerberin zielte auf die Frage ab, ob die Führungsverantwortlichen an sehr heißen Tagen, den Mitarbeiter:innen den Freitag frei geben würden. Aus der Schule ist so manchen vielleicht noch der Begriff „Hitzefrei“ bekannt. Der interviewende Hiring Manager war zunächst überrascht von der Frage in der ersten Interviewrunde, nachdem er kurz überlegt hatte entgegnete er,  dass wir sehr gut funktionierende Klimaanlagen hätten. Daraufhin konnte die Bewerberin nur Schmunzeln.

So manch einer würde diese Forderung vermutlich als unangebracht empfinden. Zugegebenermaßen ist ein „hot friday“ in einer Unternehmensberatung ebenso wie die Vier-Tage-Woche nur schwer umzusetzen da hier meist die Kund:innen bestimmen wann die Berater:innen wo arbeiten. Ich bin allerdings der festen Überzeugung, dass wir dies nicht belächeln sollten sondern ernsthaft in Betracht ziehen müssen. Damit meine ich nicht, dass sich Unternehmen durch den steigenden Fachkräftemangel den man gerne auch als „war for talents“ bezeichnet unter Druck setzen und sich komplett verbiegen lassen sollten. Natürlich ist es wichtig und essentiell die Arbeitgeberattraktivität zu steigern aber nicht um jeden Preis.

Neue Arbeitskonzepte, die zur Unternehmenskultur passen

Jedes Unternehmen welches für seine bestehenden Mitarbeiter:innen attraktiv bleiben und neue Mitarbeiter:innen anziehen möchte, sollte allerdings neue Arbeitskonzepte schaffen, die agiles Arbeiten, in seinem Ermessen und passend zur Unternehmenskultur, ermöglichen. Dies erfordert ein aufgeschlossenes Führungsverständnis und ein Denken „outside of the box“ um letztendlich die Zufriedenheit zu verbessern und die Leistung zu steigern. Denn das ist die Zukunft der Arbeit, das ist „new work“.

Laut der aktuellen Studie zum Thema Benefits 2023* erstellt von der Deutschen Personalführung e.V. (DGFP) und Kienbaum, in der 451 Unternehmen aus ganz Deutschland beteiligt waren, gehen folgende Kernaussagen hervor

  • Benefits werden immer relevanter. Die Hälfte der Unternehmen investiert mehr in Benefits als vor drei Jahren.
  • Verbesserung der Arbeitgebendenattraktivität und die Gewinnung von Top-Talenten sind die wichtigsten Strategischen Zielsetzungen.
  • Das Angebot von Mobile-Office-Work ist mittlerweile Standard.
  • Die Möglichkeit von längeren Auszeiten bzw. Sabbaticals ist weit verbreitet.
  • Die Vier-Tage-Woche unter Vollzeitbeschäftigung ist für über 40 % der Unternehmen ein Thema zum Nachdenken.

Nur wer dies beachtet und umsetzt, wird im Kampf um Mitarbeiter:innen und um die besten Talente Wettbewerbsvorteile haben. Noch wichtiger: sie werden Bewerber:innen gewinnen, die zu Mitarbeiter:innen werden, die gerne arbeiten.

*Trendstudie der Deutschen Personalführung e.V. (DGFP) und Kienbaum zum Thema

Zur Person:

Marie Metzler Glass ist Head of Talent Attraction & Acquisition AGS bei Capco – eine international agierende Beratung mit Schnittstelle von Wirtschaft und Technologie. Ihre langjährige HR-Arbeit bei diversen Beratungsunternehmen sowie Ihre Leidenschaft für Recruiting setzt sie ein, um mehr starke Frauen in Führungspositionen zu bringen. Getreu ihrem Motto: empowered women, empower women. Marie Metzler Glass ist zudem Expertin für Employer sowie Personal Branding, dies setzt sie als Markenbotschafterin vor allem auf LinkedIn um. Das Thema „New Work” ist täglicher Bestandteil ihrer Arbeit. Daher ist sie stets auf der Suche nach neuen Trends und freut sich an anregenden Diskussionen teilnehmen zu können um den Arbeitnehmer:innen von Morgen eine spannende Zukunft bieten zu können.

Mission Female GmbH

Mission Female bietet erfolgreichen Frauen ein exklusives Netzwerk von Vertrauen und Austausch auf Augenhöhe und stärkt sie aktiv bei ihrer persönlichen und beruflichen Entwicklung. Dabei engagiert sich das 2019 von Frederike Probert gegründete Business-Netzwerk aktiv für mehr Female Power in Wirtschaft, Gesellschaft, Medien, Kultur, Sport und Politik und vereint erfolgreiche Frauen branchenübergreifend auf höchster Ebene mit einem Ziel: Gemeinsam beruflich noch weiter voranzukommen. Immer persönlich, vertraulich und verbindlich ganz nach dem Motto #strongertogether.

https://www.missionfemale.com/ 

Make Gender Equality work

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Gute Frage! Aus der Perspektive der Wissenschaft gibt es bereits genug lehrreiches Material und Know-how. Und trotzdem passiert es immer wieder, dass Mitglieder von Organisationen geschult werden und dann verängstigt sind: Was darf ich jetzt überhaupt noch tun? „Geschichten“, die sich seit Jahren durchziehen und halten, Geschichten wie diese: „Mann darf nicht einmal mehr Aufzug fahren mit einer Frau!“

Selten werden positive Wirkungen erlebt und häufig tritt sogar eine Verschlechterung ein. Die Wissenschaft belegt seit langem, dass Schulungen allein zu Verschlechterungen führen. Aus dem Begleiten von Change-Prozessen weiß ich, dass Unsicherheit und Angst, mit denen Menschen sich selbst überlassen werden, selten einen kollektiven Lerneffekt haben und eher Mythen und Gerüchte unterstützen.

Was kann also helfen?

Ich verrate Ihnen 6 Tipps und Learnings aus meiner systemischen Beratungserfahrung zum Thema Gender Equality:

#1 Das Thema zum eigenen machen

Systemisch betrachten wir jede Organisation als soziales System, das eigene Logiken hat. Und das ist auch der Grund, weshalb aus unserer Sicht, standardisierte Ansätze selten funktionieren.

Ich mache gute Erfahrungen mit Personen, die sich innerhalb einer Organisation etablieren und aktiv vorangehen, wenn sich z.B. eine repräsentative Gruppe findet, die so etwas wie ein Kernteam bildet.

Und dieses Kernteam übersetzt: Es findet eine wirksame Sprache innerhalb der Organisation und ist auch Spiegel der Dynamiken, die im Unternehmen wirken. Dafür braucht es natürlich Zeit!

#2 Gemeinsames Aufschlauen

Als Team wird eine gemeinsame Lernreise gestartet, um Hintergründe besser zu verstehen und so eine Expertise zum Thema zu erlangen.

Wie wirken unbewusste Wahrnehmungsverzerrungen? Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten erleben wir zur Gleichstellung? Wann erleben sich Frauen und Männer als Verlierende? Wo liegen potenzielle Hebel in Organisationen? Auf was können wir achten?

#3 Erste Standortbestimmung

Damit Maßschneidern gelingt, ist es wichtig zu wissen, von wo gestartet wird: Welche Dinge laufen gut? Worin können wir besser werden? Was sind unsere Hot-Topics? Und hier kann ich sagen, zahlt sich eine Kulturanalyse der Organisation aus, da es viel um Glaubensätze, Werte und Muster geht. Achten Sie darauf, dass für diese Standortbestimmung Interviews geführt werden, die genau diese Dinge auch „herauskitzeln“.

In diesem Schritt erkennen fast alle Organisationen, wie tief dieses Thema geht.

#4 Achtung: Es tut oft weh!

Ist die Standortanalyse am Tisch, beobachten wir in unserer Praxis häufig zwei Phänomene:

  1. Alles, was bereits gut funktioniert, tritt in den Hintergrund.
  2. Es ist einiges Material dabei, das echt schmerzt. Sowohl Männer als auch Frauen fühlen sich als Opfer und Täter:innen gleichzeitig, Scham steigt auf und das erzeugt Ablehnung.

Ich wappne Kernteams in meiner Arbeit genau dafür. Wir gehen gemeinsam durch all diese Aspekte durch und beleuchten die Themen differenziert: Da geht es um sexuelle Belästigung, um Infrastruktur, Eifersucht oder Benachteiligung und vor allem geht es oft um den Umgang mit Unsicherheit.

Interessant: Das Kernteam fungiert oft als Probebühne für das, was in der gesamten Organisation los ist.

Gemeinsam arbeiten wir an Formen, die für alle Beteiligten „verdaubar“ sind (insbesondere für Führungskräfte). Dabei achten wir darauf, die eigentlichen Ziele nicht aus den Augen zu verlieren.

#5 Gesellschaftlichen Anteil anerkennen und bitte keine Genderpolizei

Klar ist, Organisationen sind nicht autark, weshalb sich Haltungen und Einstellungen unserer Gesellschaft in den Unternehmen widerspiegeln.

Da existieren z.B. Glaubenssätze wie, „Frauen sind in erster Linie Mütter und haben die Aufsichtspflicht, Männer nicht. Deshalb gehen sie sicher irgendwann in Teilzeit.“ oder „Frauen sind schwächer und können schwere und schmutzige Arbeit nicht machen.“ und „Frauen zicken untereinander und reden schlecht übereinander.“ oder vielleicht: „Frauen sind keine guten Führungskräfte.“ Viele sind an dieser Stelle überfordert.

Aber gerade da fängt es an, richtig spannend zu werden, denn Organisationen können an dieser Stelle richtig viel bewegen – wenn sie das wollen!

Und das Beste daran ist, dass sich mit der Veränderung in der Organisation und der Beteiligten auch eine gesellschaftliche Wirkung entfaltet.

Meine Empfehlung ist hier, sehr achtsam zu sein, damit neu gebildete Initiativen nicht gleich wieder im Keim erstickt werden. Dabei hilft es, positive Beispiele und Initiativen zu finden, die bei Mitarbeiter:innen Neugierde auslösen.

Bitte nicht: Schuldige suchen, Fingerpointing, Sprachpolizei – nichts davon hilft.

Die Annahme, die alles trägt: Alle Beteiligten und Betroffenen agieren aus einer positiven Intention heraus und viele Dinge sind ganz einfach nicht bewusst!

#6 Schritt für Schritt Wirksamkeit herstellen

Mir ist klar, so eine Veränderung geht nicht schnell, sie braucht laufend Aufmerksamkeit und ein bewusstes Begleiten innerhalb der Organisation. Zu alt und tiefliegend sind die Muster, die hier wirken. Hilfreich ist es, eine grobe Road Map zu erstellen, die laufend angepasst wird – auf Basis von Wirkungen, Beobachtungen, Reflexionen und Learnings.

Meiner Erfahrung nach braucht es über die Zeit immer wieder auch eine Außenperspektive, um das eigene Denken, Wissen und Tun mit neuen Impulsen, Erkenntnissen und Erfahrungen anzureichern – wie auch immer man das macht!

Natürlich gibt es noch viele andere Aspekte, die zu berücksichtigen sind. Mir ging es hier um die ersten Schritte und die grundsätzliche Herangehensweise beim Aufsetzen eines Equality-Projektes.

Es braucht unbedingt einen Rahmen, in dem sich Gleichstellung, Gendergerechtigkeit, Augenhöhe und ähnliche Themen gut entfalten können. Das systemische Arbeiten erweist sich als besonders hilfreich. Es gibt mir und auch den Organisationen, mit denen ich arbeite, Halt. Das schätzen alle Beteiligten sehr, besonders dann, wenn es komplex wird.

Welche Erfragungen machen Sie mit meinem Herzensthema? Ich freue mich auf den Austausch mit Ihnen: barbara.buzanich@neuwaldegg.at

Über die Autorin:

Barbara Buzanich-Pöltl ist Equity Partnerin der Beratergruppe Neuwaldegg, Beraterin, Keynote-Speakerin, Gender Equality- und Change-Expertin, Buch-Autorin, Programmleiterin des GENDER EQUALITY LAB, Agile Leadership Campus, Agiler Freiraum, Change Campus. Ihre Herzensthemen sind Geschlechtergleichstellung und Agile Transformation.

Unser Tipp:

Gender Equality Lab der Beratergruppe Neuwaldegg ab 12.4.2024
Schneller Aufbau von breiter Expertise zum Thema. Systemische Grundkompetenzen und Toolbox zu Change & Kultur. Inspiration und Praxis-Austausch mit anderen Organisationen. Praxisorientiertes Arbeiten an eigenen Fällen. Hindernisse und Wahrnehmungsverzerrungen aufdecken lernen. Systemdynamiken wie Macht und Sprache durch gezielte Interventionen bearbeitbar machen. Erkennen, wie Geschlechtergerechtigkeit im eigenen Unternehmen salonfähiger wird. Die eigene Rolle als Change-Expert:in für Gender Equality formen.

Vorteil für die weconomy-Community: 20 % Rabatt auf die Teilnahmekosten

Termine: Kick-off (12.4.2024, 15 – 17 Uhr), Live Lab 1: 24.–26. April 2024, Digital Touchpoint 2: 17.6.2024, 18 – 20.30 Uhr, Digital Touch Point 3: tbd 2024, 18 – 20.30 Uhr, Live Lab 2: 9. – 11. Oktober 2024

Digitaler Humanismus

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In Zeiten von Arbeitnehmermarkt und allgegenwärtigem Fachkräftemangel hat gerade dieser Ansatz das Potential, im Human Resource Management (HRM) zu einem echten Gamechanger zu werden: der Digitale Humanismus.

Synonyme für den Begriff Digitaler Humanismus sind vielfältig. Die Investmentfirma Goodshares nennt ihn People, Planet, Profit. Der Bundesverband der Digitalwirtschaft in Deutschland spricht von CDR, eine logische Weiterentwicklung des Konzepts der Corporate Social Responsibility (CSR). Manche Firmen haben ihre eigenen digitalen Prinzipien bereits direkt in der Gesamtstrategie verankert, andere planen, ihre ESG-Initiativen (Environmental Social Governance) um ein „D“ (ESDG) für das Digitale auszuweiten.

Egal, wie wir es nennen, wichtig ist, was dabei unter dem Strich rauskommt: Die Technologie ist da, um die Menschen bei ihrer Arbeit zu unterstützen und ihnen zu dienen – und nicht umgekehrt. Aber welche Chancen gibt es? Was sind konkrete Anwendungsmöglichkeiten, und welche ethischen Überlegungen gilt es beim Einsatz künstlicher Intelligenz im HRM zu beachten?

20 Prozent gehen in Pension – und der Wissenstransfer?

An der WU Executive Academy haben wir uns in den letzten Wochen mit unseren Partnern KI-Systeme angesehen, die eine große Erleichterung für den Wissenstransfer bald ausscheidender Mitarbeiter:innen in Organisationen sein werden.

Hier ein Beispiel:

Anna ist 62 und wird nächstes Jahr in Pension gehen. Ein großer Verlust für ihre Firma, sie ist eine zentrale operative Kraft in der Buchhaltung, kennt alle Vorgänge und Prozesse und weiß, „wie es wirklich läuft“. Ihre Nachfolgerin ist noch gar nicht rekrutiert. In ihrem Arbeitsvertrag hat Anna eingewilligt, dass ein Teil ihrer geschuldeten Leistung die Weitergabe des beruflichen Know-hows ist.

Weiters gibt es eine Betriebsvereinbarung, dass ein von ihr lernendes digitales System sie bei allen Arbeitsschritten für ein Jahr begleiten darf, ohne eine ungebührliche Arbeitskontrolle zu generieren. Das Tool lernt von ihrer Arbeit, zeichnet reale Prozesse nach und bekommt immer wieder zusätzliche, erklärende Spracheingaben von Anna. Einmal im Monat kontrolliert Anna die Richtigkeit des Lernergebnisses.

Ihr/e Nachfolger:in wird so ein reales Abbild der tatsächlichen Arbeit als Einschulung erhalten, und Anna wiederum wird in ihrer Pension, basierend auf einer geringfügigen Weiterbeschäftigung, ihrer ehemaligen Firma zur Verfügung stehen, wenn ihr/e Nachfolger:in Bedarf an einem fachlichen Austausch, oder Fragen zu einem konkreten Arbeitsschritt hat.

Vielleicht aber schaffen wir mit Hilfe der Technik einen völlig anderen Weg.

Recruiting: Maschine gegen Maschine?

Die neue Wirklichkeit: Bewerber:innen senden KI-generierte CVs und Motivationsschreiben. In der Recruiting-Abteilung sieht kein Mensch diese Dokumente, auch hier entscheidet eine KI, ob der/die Bewerber:in eine Runde weiterkommt. Während wir verstehen, dass das für Unternehmen bei der Fülle an CVs, die sie oft bekommen, notwendig sein kann und vielleicht auch zur Reduktion von menschlichen Biases führt, stellt sich doch die Frage, ob es uneingeschränkt sinnvoll ist. Vielleicht aber schaffen wir mit Hilfe der Technik einen völlig anderen Weg.

Und so könnte dieser aussehen: Bewerber:innen generieren 30-Sekunden-Videos, um sich vorzustellen. Mit einem Wasserzeichen und einer staatlich gesicherten Identifikation (eiD) wird sichergestellt, dass das Video nicht von einer KI oder einer dritten Person generiert wurde. In einer halben Minute bekommt man einen ersten, guten Eindruck über die Person. Das können wir Menschen definitiv besser als eine Maschine. Die unterstützende KI gibt an, dass die angegebenen Daten die Stellenbeschreibungen matchen. Schließlich kommt es zu einem persönlichen Online- oder Offline-Treffen im Rahmen eines klassischen Recruiting-Prozesses.

Lerninhalte selbst mit geringem Aufwand erstellen

Ob Text, Audio, Video oder Bild: Mit neuartigen Services von Midjourney, OpenAI oder D-ID aus Israel wird die Planung und Umsetzung von Online-Lernen revolutioniert. Kostengünstige Produktion und jederzeit mögliche Veränderung eines digitalen Lerninhalts werden für HR-Manager:innen auch ohne Programmierkenntnisse möglich.

Das Auditorium wird künftig wählen können, ob es Vortragende im Hörsaal oder als Avatare erleben will.

In den nächsten Jahren werden sich die Angebote der klassischen Online-Lernplattformen und Content-Agenturen massiv weiterentwickeln. Auch unsere Vortragenden müssen in fünf Jahren nicht mehr „live“ vor 25 Personen in einem realen Raum Theorie vermitteln, sondern Teilnehmer:innen können wählen, ob sie die Vortragenden im Hörsaal erleben wollen oder über deren Avatare jederzeit online auf ihre aktuellen Inhalte interaktiv zugreifen möchten – eine enorme Verbesserung gegenüber den heutigen „statischen“ Videos und Podcasts.

Gute Software: Value-based Engineering

„Die Systeme, die wir als HR nutzen, stellt unsere IT zur Verfügung, da haben wir kaum Einfluss“. Würden Sie diesen Satz für Ihr Unternehmen auch unterschreiben? Im Rahmen des Digitalen Humanismus bieten sich neue Standards in der Konfiguration und Erstellung von Softwaresystemen an. Im Dreiklang von IT-Abteilung, HR und Vertreter:innen der späteren User werden dabei Systeme gemeinsam geplant, damit sie den ethischen Bedürfnissen aller Stakeholder entsprechen.

Bloß so zu tun als ob, könnte als „Human Washing“ enttarnt werden und einen negativen Effekt haben.

In diesem Prozess werden sogenannte Ethical Value Requirements definiert, die die Funktionen der späteren Systeme mitbestimmen. Dafür gibt es einen Standard und eine Zertifizierung. IT-Unternehmen, die UNO und auch die Stadt Wien verwenden bereits diesen neuen Standard. Die Beweggründe für Unternehmen können vielfältig sein: Das geht von tatsächlich empfundener ethischer Verantwortung der Manager:innen über Absicherung für spätere mediale oder rechtliche Konflikte bis hin zur Steigerung der Softwareakzeptanz und -Nutzung im Unternehmen.

Bei welcher Firma willst Du arbeiten?

Bewerber:innen, die zwischen zwei Firmen entscheiden können, fragen immer mehr nach der wahren Kultur der Firmen. Kununu und andere Dienste versuchen das abzubilden. Die Auszeichnung oder Zertifizierung als Unternehmen, das die Prinzipien des Digitalen Humanismus lebt, könnte hier eine Entscheidung für das eigene Unternehmen leichter machen. Ähnlich wie bei der ökologischen Verantwortung eines Unternehmens darf es aber kein Greenwashing geben, also mehr Schein als Sein. Nur so zu tun, als würde man die digitalen Werkzeuge mit Fokus auf den Menschen verwenden, könnte als „Humanism-Washing“ enttarnt werden und einen negativen Effekt haben.

Wie wird Ihre Firma dargestellt? Heute wird die Außenwahrnehmung eines Unternehmens stark durch journalistische Berichterstattung, die eigene Online-Präsenz und Kununu bestimmt. Versuchen Sie doch mal, ChatGPT danach zu fragen, ob Ihre Firma eine gute Arbeitgeberin für einen bestimmte Job-Rolle ist. Die KI ist offensichtlich bereits darauf trainiert zu sagen, dass sie das nicht abschließend beantworten könne, spuckt dann aber doch ca. 400 Worte darüber (in unserem Fall die WU Executive Academy) aus.

Die Fragestellung für HR-Manager:innen ist somit klar: Wie können wir in der Zukunft sicherstellen, dass die (richtige) Informationen über das eigene Unternehmen in das Trainingsmaterial der KI einfließen? Selbst technisch ist diese Frage noch unbeantwortet, eine aktive Auseinandersetzung zu dem Thema aber ab sofort hilfreich, um die Gefahr der unrichtigen oder tendenziösen KI-Angaben über das eigene Unternehmen in Zukunft zu reduzieren. Spannende Zeiten für HR-Manager:innen.

Über den/die Autor:in:

Barbara Stöttinger ist Dekanin der WU Executive Academy. Vor ihrer Zeit am Institut für Internationales Marketing Management war sie im Marketing eines internationalen Konsumgüterherstellers (Consumer Electronics) und in der Beratung tätig. Darüber hinaus arbeitet Barbara Stöttinger seit Jahren als Vortragende für Marketing und Internationales Marketing in Europa, Asien und Nordamerika und wurde mehrfach mit Teaching Awards ausgezeichnet.

Martin Giesswein unterrichtet Digitalökonomie und Leadership, ist Fakultätsmitglied der WU Executive Academy, Buchautor, Podcaster und Executive Sparring Partner. Giesswein ist Mit-Initiator der Community DigitalCity.Wien und war Co-Founder des Innovationscampus Talent Garden Wien.

Event: Diversity Leaders Summit

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Save the date! Es ist wieder soweit – der nächste WEconomy X PwC Diversity Leaders Summit steht vor der Tür!

Wir freuen uns sehr über Ihre Anmeldung zur Teilnahme am WEconomy Diversity Leaders Summit am 14.12. im Wiener DC Tower. Über 100 Diversity Verantwortliche und Unternehmen sind mit dabei und tauschen ihre Erfahrungen, Best Practices und spannende Initiativen aus.

Der offizielle Part beginnt um 18 Uhr, ab 16 Uhr finden 6 Masterclasses mit unseren WEconomy Expert:innen zu den Themen ESG, Female Leadership, Employer Branding, Unternehmenskultur, Barrierefreiheit und altersgemischte Teams statt. Wer dabei sein möchte, kann sich hier anmelden. 

Workshops

16:00 – 16:45

WS1
Thema: ESG HR Reporting und Diversity Dashboard
Referent:in: Jutta Perfahl-Strilka, Workforce Transformation Lead bei PwC Austria

WS2
Thema: Employer Branding – How to create an inclusive Employer Brand
Referent:in: Julia Kreyler-Valsky, Co-Founder & Managing Partner Inclusion Indicator
Hermann Sporrer, Co-Founder & Geschäftsführer sheconomy

WS3
Thema: Unternehmenskultur der Vielfalt – mit Integration den Fachkräftemangel schaffen?!
Referent:in: Anke van Beekhuis, CEO BEEKHUIS Performance Culture

17:00 – 17:45

WS4
Thema: Barrierefreiheit 2023 – kulturelle und digitale Hürden überwinden
Referent:in: Wolfgang Kowatsch, myAbility

WS5
Thema: Fair Pay ist weit mehr als Equal Pay – Fit sein bis zur neuen EU-Richtlinie über Lohntransparenz und gleiches Entgelt
Referent:in: Martina Ernst, CEO & Founder SalaryNegotiations.

WS6
Thema: Altersgemischte Teams – ein Erfolgsmodell bei der Digitalisierung?
Referent:in: Pamela Rath, Gründerin newworktoday

Für dieses Event sind Teilnehmer:innen gewünscht, die selbst operativ die Themen Diversity, Equity & Inclusion in ihren Unternehmen & Organisationen aktiv voranbringen sowie Business Leader:innen aus dem Vorstand & Geschäftsführung, die Diversity als Businessstrategie & Zukunftsthema sehen und aktiv supporten.

Timetable & Agenda

ab 15:30: Einlass

ab 16:00: 6 Masterclasses mit unseren WEconomy Expert:innen inkl. Best Practices aus Unternehmen (limitierte Plätze) zu den Themen: ESG, Female Leadership, Employer Branding, Unternehmenskultur, Barrierefreiheit und altersgemischte Teams

ab 18:00: Eröffnung & offizieller Start des Diversity Leaders Summit mit den WEconomy Founding Partnern (PwC, Coca Cola HBC, Goldman Sachs & Ketchum)
Eröffnung & Präsentation WEconomy Magazin inkl. Studie & 100 Diversity Leadern #alliesforequity
Roundtable mit den WEconomy Expert:innen & Diversity Leader:innen
Vernetzung & Networking mit Food & Drinks

Be part of it! Diversity drives business strategy! Jetzt hier registrieren und einen der 100 Plätze sichern.

See you there! Wir freuen uns auf Ihr Kommen!

Das war der Diversity Leaders Exchange #10

Ob Elternkarenz, Hausbau, Pflege oder Sabbaticals – die Gründe, weshalb Arbeitnehmer:innen Auszeiten benötigen, sind vielfältig. Die Umsetzung ist für viele Unternehmen jedoch nach wie vor schwierig. Um zu zeigen, wie erfolgreiches Auszeitenmanagement aussehen kann, lud WEconomy erneut zum Diversity Leaders Exchange, bei dem sich HR- und Diversity-Verantwortliche mit ausgewählten Expert:innen exklusiv zum Thema austauschen konnten. Die Eventreihe ist seit 2021 fester Bestandteil der SHE- und WEconomy Welt.

Diversity Leaders Challenge-Jurymitglied Julia Kreyler-Valsky (Co-Founder Inclusion Indicator), DEI Expertin Manuela Vollmann (Executive Manager ABZ*Austria), Maria Ziller (Head of HR, Salzburg AG) sowie Katja Mlecka (Deputy Head of Group HR, Asfinag) diskutierten Best Practices, anschließend wurden offene Publikumsthemen in einer Fragerunde diskutiert.

Kommunikation und Struktur als A und O – „One size fits none“

Manchmal scheitert es daran, dass Arbeitnehmer:innen gar nicht von den bestehenden Möglichkeiten wissen. Julia Kreyler-Valsky erzählte von einer Situation, in der ein Unternehmen ein:e Verantwortliche:n eigens für das Thema Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf ernannt hatte, die meisten Mitarbeitenden davon aber gar nichts wussten. Takeaway: Die richtige Kommunikation und Struktur ist also unabdingbar für ein erfolgreiches Auszeitenmanagement. Das Management von Karenzen und Auszeiten sei ganz eindeutig eine Führungsaufgabe, so Kreyler-Valsky. Außerdem ist es wichtig, nicht einfach mit Maßnahmen zu beginnen, sondern wirklich zu eruieren, was Mitarbeitende brauchen.

Maria Ziller erzählte von den konkreten Initiativen, die bei der Salzburg AG gewirkt haben. Zunächst wurde eine Umfrage unter Mitarbeitenden durchgeführt, um herauszufinden, was tatsächlich benötigt wird. Mit Hilfe der Umfrageergebnisse wurde der gesamte Karenzprozess strukturiert. Dieser läuft nun wie folgt ab: Nachdem ein:e Mitarbeiter:in bekannt gibt, ein Kind zu erwarten, gibt es seitens des Unternehmens eine umfassende Planungsmöglichkeit. Diese beinhaltet die Option, während der Karenz geringfügig und zu 100 Prozent im Homeoffice weiterzuarbeiten – dafür wurde sogar die Betriebsvereinbarung der Salzburg AG geändert. Wird kommuniziert, dass es solche Optionen gibt und diese unterstützt werden, ist der Impact auf die Unternehmenskultur groß – und langfristige Veränderungen können passieren. Wichtig ist es aber, die Planungsmöglichkeit als Angebot wahrzunehmen und nicht als Zwang.

Eine gute Orientierungsbasis für Unternehmen ist, wie Manuela Vollmann darlegte, die Roadmap „Neues Arbeiten“ von ABZ*Austria. Als One-Stop-Shop für alle Fragen rund um Karenzen (Eltern- sowie Pflegekarenzen)  und Teilzeiten konzipiert, deckt die tool-unterstützte Lösung rechtliche sowie finanzielle Rahmenbedingungen von Karenzen ab und gibt einen Überblick über mögliche Prozesse und Angebote in der eigenen Organisation und ist zudem individuell adaptierbar.

„Es geht darum Angebote zu schaffen die attraktiv sind und zu den Lebensumständen passen“, so Katja Mlecka. Auch Julia Kreyler-Valsky stimmt zu: “One size fits none” – es gehe eben darum, die Bedürfnisse der Mitarbeitenden ernst zu nehmen.


Der Diversity Leaders Exchange ist eine exklusive WEconomy Veranstaltung, die in kleinem Rahmen via Zoom stattfindet und sich  an HR- & Diversity-Verantwortliche richtet, um einen bestmöglichen (Lern-)Austausch zu fördern. Die Themen wechseln jedes Mal, das Event findet circa einmal pro Quartal statt. Weitere Nachberichte und News dazu lesen Sie hierBei Fragen und Interesse zu WEconomy & dem Diversity Leaders Exchange, schreiben Sie gerne eine kurze Mail an hermann.sporrer@sheconomy.media

Wie Männer zu besseren Verbündeten werden

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„Zuhören, Lernen, Reflektieren und Handeln“

Warum ist Feminismus keine reine Angelegenheit der Frauen?

Vincent-Immanuel Herr: Wir definieren Feminismus zum einen als die Idee, dass Menschen aller Geschlechter den gleichen Wert haben und den gleichen Respekt verdienen. Zum anderen bedeutet Feminismus immer auch den Einsatz für eine Welt, in der dieser Wert auch umgesetzt wird. Das ist keine radikale Forderung. Auch Männer haben ein Interesse daran, dass ihre Schwestern, Mütter, Kolleginnen und Freundinnen in einer gleichberechtigten Welt leben.

Martin Speer: Männer sollten auch immer im Hinterkopf haben, aus welcher Geschichte heraus diese Bewegung entstanden ist. Ich denke gerade an das Buch “Die Ersten ihrer Art” von Heike Specht.

“Wir definieren Feminismus zum einen als die Idee, dass Menschen aller Geschlechter den gleichen Wert haben und den gleichen Respekt verdienen.”

Warum bezeichnet ihr Euch dann nicht besser als “Humanisten”?

Vincent-Immanuel Herr: Wenn wir uns als Feministen bezeichnen, würdigen wir die Leistungen der Frauen, die sich gegen große Widerstände Rechte und Anerkennung erkämpft haben.

Was ist ein Male Ally, ein männlicher Verbündeter – und wie kann man einer werden?

Vincent-Immanuel Herr: Das Wichtigste bei einem Verbündeten ist die Bereitschaft zuzuhören sowie die Bereitschaft, eigene Privilegien anzuerkennen und von den Menschen zu lernen, die weniger Privileg in der entsprechenden Situation haben. Im Falle der Geschlechtergerechtigkeit bedeutet das also: den Frauen zuhören. Und schließlich das Gelernte anwenden und für systemische Veränderung eintreten, in den Unternehmen, in der Politik und auch im privaten Leben.

Euer Buch “Das Buch, das jeder Mann lesen sollte – In vier Schritten zum Feministen” ist in einem Kollektiv von sieben Autor:innen entstanden – wie schreibt man ein Buch zu siebt, ohne aneinanderzugeraten?

Martin Speer: Viel und offen miteinander sprechen ist zentral, so haben wir oft einen gemeinsamen Nenner gefunden, auch bei weiterhin existierenden Unterschieden – das darf ja bitte auch sein. Wir haben es geschafft, eine gemeinsame Grundlage zu finden und vier Schritte zu identifizieren, die Männern helfen, Verbündete zu werden: Zuhören, Lernen, Reflektieren und Handeln.

“Frag eine Frau, die Du gut kennst und zu der Du eine gute Beziehung hast, wie sich Sexismus in ihrem Leben anfühlt und wie Du helfen kannst.”

Wenn ein Mann überhaupt nichts mit Feminismus am Hut hat, was wäre eine Sofortmaßnahme?

Vincent-Immanuel Herr: Wir sagen zu Männern, die skeptisch sind oder zweifeln, ob das Problem überhaupt so groß sein kann: Frag eine Frau, die Du gut kennst und zu der Du eine gute Beziehung hast, wie sich Sexismus in ihrem Leben anfühlt und wie Du helfen kannst. Hör zu, ohne zu verurteilen und ohne gleich eine Antwort liefern zu müssen.

Ab wann habt Ihr Euch als Feministen begriffen?

Vincent-Immanuel Herr: Meine Eltern haben den Begriff häufig benutzt. Ich habe bei meiner Mutter sehr früh mitbekommen, wie notwendig es ist, dass sich Männer zu Verbündeten von Frauen machen. Ihr wurden in dem wissenschaftlichen Umfeld, in dem sie arbeitet, Steine in den Weg gelegt, ihr letztlich das Leben schwergemacht.

Wie sah das aus?

Vincent-Immanuel Herr: Leute haben gesagt, Frauen gehörten nicht an die Uni, sondern nach Hause, solche Geschichten. An meinem Vater habe ich gesehen, wie ein positives Männlichkeitsbild aussehen kann. Er hat meine Mutter auf ihrem Karriereweg ermutigt, hat die Hälfte der Sorgearbeit übernommen und sich wunderbar um meine Schwester und mich gekümmert, als meine Mutter pendelte.

Martin Speer: Ich bin im ländlichen Umfeld in Franken aufgewachsen, in einem Umfeld, in dem Feminismus kaum eine Rolle gespielt hat oder offen thematisiert wurde. Hinzu kommt, dass der Lebensgefährte meiner Mutter Frauen oft nicht sonderlich gut behandelt hat und selbst in starren Männlichkeitsbildern gefangen war. Geklickt hat es erst mit Mitte Zwanzig bei mir, als andere Männer mir den Spiegel vorhielten und Sachen sagten wie: “Hey, was war das denn gerade für ein Spruch?”

Wo stehen wir Eurem Gefühl nach in Sachen Gleichstellung?

Vincent-Immanuel Herr: Ich glaube, wir befinden uns in einer Übergangszeit. Das Alleinernährer-Modell war vor allem in Westdeutschland sehr präsent, aber es bricht auf. Denn Frauen wollen ebenfalls Karriere machen und Männer müssen oder dürfen deshalb mehr Sorgearbeit übernehmen. Das haben die meisten Männer aber so nicht gesehen bei ihren Vätern.

Was muss passieren?

Vincent-Immanuel Herr: Es braucht einen Kulturwandel, aber der braucht Zeit. Wir bemerken hier viele Schmerzpunkte bei Männern, sie haben Angst vor einem Karriereverlust und auch eine diffuse Sorge vor einem Männlichkeitsverlust. Ich kann nicht wirklich für Frauen sprechen, aber wir beobachten regelmäßig Frustration, dass die Männer nicht mehr mitziehen. Und die Männer fragen sich, platt gesagt, ob ein männlicher Kerl Babybrei kochen kann und was die anderen Männer oder der Chef darüber denken.

Martin Speer: Die Arbeit mit Männern an und mit diesen Fragen muss viel regelmäßiger auf die Agenda. An unserer Arbeit in Unternehmen sehen wir, dass Männer großen Redebedarf haben.

Irgendetwas fühlt sich falsch an, wenn Männer untereinander die Sache der Frauen aushandeln.

Vincent-Immanuel Herr: Verbündete wandern hier auf einem schmalen Grat zwischen einerseits Vorbild für andere Männer zu sein und andererseits Frauen nicht die Führungsrolle in dieser Bewegung streitig zu machen. Es ist eigentlich ein Paradox – auch dass es Initiativen wie etwa #HeforShe der Vereinten Nationen überhaupt geben muss.

Martin Speer: Frauen sind die Top-Expertinnen in dem Themenfeld. Trotzdem werden oft wir in Unternehmen eingeladen, um mit Männern über Feminismus zu sprechen. Weil die Erfahrung leider zeigt, dass Männer Frauen bei dem Thema nicht so gut zuhören. Ich wünschte, es wäre anders. Reine Männerrunden erlauben es, dass Männer offen sprechen, ihre Sorgen, Ängste und teilweise auch Vorurteile einfach raushauen.

Vincent-Immanuel Herr: Das sind teilweise harte Sachen, die da rauskommen. Wir denken: Besser, wir fangen es ab, als wenn sie das in sich hineinfressen. Sonst bildet sich auch ein stiller Widerstand gegen Gleichstellungsbemühungen. Wichtig ist dann aber auch, die Tür wieder rechtzeitig aufzumachen und in den gemeinsamen Dialog zu kommen.

“Männer suchen nach Antworten, brauchen aber ihre Zeit, um das auch zuzugeben. Sie wollen über Sexismus sprechen und welche Rolle sie in der Lösung spielen können.”

Was hauen die Männer raus?

Vincent-Immanuel Herr: Wiederkehrende Themen sind Variationen des Satzes: “Als Mann werde ich in der Firma nichts mehr.” Also, dass da eine ganz große Angst ist, dass nur noch Frauen befördert werden, und zwar rein aufgrund des Geschlechts. Das spiegelt sich nicht in Zahlen wider, die meisten Personalstatistiken zeigen, dass jede Menge Männer nach wie vor befördert werden.

Martin Speer: Aber das persönliche Empfinden ist eben, dass Männer mittlerweile systematisch benachteiligt werden und ihrer Karriere Auf Wiedersehen sagen können. Ein verwandtes Thema ist die Frauenquote, da brennt die Decke in der Regel.

Gibt es auch konstruktive Gespräche?

Vincent-Immanuel Herr: Absolut. Männer suchen nach Antworten, brauchen aber ihre Zeit, um das auch zuzugeben. Sie wollen über Sexismus sprechen und welche Rolle sie in der Lösung spielen können. Oder sie tauschen Tipps für die Elternzeit aus.

Martin, Du hast einmal gesagt: “Ziel aller Bemühungen darf nicht sein, Frauen dem männlich geprägten Leistungssystem anzupassen” – was meinst Du damit?

Martin Speer: Präsenzkultur und Dauererreichbarkeit sind zwei Beispiele, die aus einer männlich geprägten Leistungskultur entstanden sind, weil Männer de facto diese Zeit hatten. Wenn die Frau die Kinder ins Bett bringt, kann sich der Mann abends um acht noch in eine Zoom-Konferenz schalten.

Vincent, in einem Gastbeitrag bei Spiegel Online hast Du kritisiert, dass hauptsächlich Männer breitenwirksam über ihre Elternzeit sprechen. Erfüllt das nicht eine tolle Vorbildfunktion?

Vincent-Immanuel Herr: Ich will da nicht falsch verstanden werden. Ich finde es gut, dass Männer Elternzeit nehmen und drüber sprechen. Ich habe kritisiert, dass die mediale Aufmerksamkeit immer auf die Männer geht, wo doch Frauen immer noch den Löwenanteil der Elternzeit übernehmen.

Wie bringt Ihr das Thema Gleichberechtigung und Feminismus raus aus einer akademischen Blase?

Martin Speer: Wir arbeiten beispielsweise mit Unternehmen zusammen, die sehr techniklastig sind, die Hochspannungsleitungen bauen oder Milliardensummen auf dem männlich dominierten Finanzmarkt hin und her bewegen. Wir versuchen dann sehr praxisnah zu erzählen, wo die Herausforderung, aber auch der Mehrwert liegt, und versuchen immer einen Bezug zur Lebensrealität der Frauen im direkten Umfeld herzustellen. Eine Statistik wird dann lebendig und relevant, wenn verstanden wird, dass es die Lebensrealität der Schwester, Mutter oder Kollegin ist. Generell versuchen wir, ohne Zeigefinger zu arbeiten, eher mit der ausgestreckten Hand.

“Firmen sind erfolgreich, wenn mehr Frauen in Führung sind und wenn Diversität ernst genommen wird und nicht nur auf der Homepage steht.”

Ein Engagement für den Feminismus würde man politisch eher links der Mitte verorten. Wie ist Euer Verhältnis zum Konservatismus?

Vincent-Immanuel Herr: Wir haben beide kein Parteibuch. Ich habe in der Bundeswehr gedient und bin Wechselwähler. Ich habe außer der AfD alle Parteien gewählt, die im Bundestag sitzen, auf lokaler, Landes- oder Bundesebene. Vermutlich stimmt es, dass wir mit unserem Engagement eher links einzuordnen sind. Ich mag diese Einordnung aber nicht. Es geht um menschliche Würde, Anerkennung und Respekt.

Martin Speer: Ich war früher CSU-Mitglied, das ist kein Geheimnis. In der bayerischen Peripherie gab es eben die Junge Union für junge Menschen mit politischem Interesse. Im Grunde, so kann man auch argumentieren, ist es ja ein konservativer Gedanke, Frauenrechte zu verteidigen und zu bewahren.

Vincent-Immanuel Herr: Man kann sich dem Thema Geschlechtergerechtigkeit ja auch aus einer praktisch-wirtschaftlichen Perspektive nähern, die Vorteile liegen auf der Hand: Firmen sind erfolgreich, wenn mehr Frauen in Führung sind und wenn Diversität ernst genommen wird und nicht nur auf der Homepage steht. Ganze Länder und Gesellschaften sind stabiler, Männer haben eine höhere Lebenserwartung, Kriege werden seltener. Und das sind ja nicht nur progressive Ziele, dass unser Wirtschaftssystem und sozialer Zusammenhalt stabil bleiben.

Was liebt Ihr an Europa?

Vincent-Immanuel Herr: Alles.

Martin Speer: Europäer:in sein heißt, in Bewegung zu sein, nicht nur physisch. Einander kennenlernen, auch im Denken. Es ist eine konstante Auseinandersetzung mit Vielfalt.

Vincent-Immanuel Herr: Wir sehen gerade in einem Kontext von zurückgehender Demokratisierung und Freiheitswerten die Europäische Union als unglaublich wichtig, diese Werte zu vertreten. Da schließt sich der Kreis mit der Geschlechtergerechtigkeit. Das ist für uns das Schöne an der europäischen Idee.

Ihr wisst, wie man politische Prozesse in Gang bringt. Mit #EsIstZeit, der Kampagne für die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare, und #FreeInterrail für ein kostenloses Interrailticket für EU-Bürger. Was wäre Euer Rat an Menschen, die sich gerne politisch engagieren wollen, sich aber in keiner Partei wiederfinden oder auch nicht so richtig wissen, wie sie anfangen sollen?

Martin Speer: Verbündet euch. Es gibt gewiss viele Leute mit ähnlichen Sorgen oder Ideen. Ideen helfen in der Schublade niemandem, sprecht sie aus. Geht auf Politiker:innen oder andere Führungspersönlichkeiten zu und schmiedet Allianzen.

Vincent-Immanuel Herr: Genau, keine Scheu vor großen Institutionen. Je mehr Leute von einer Idee wissen, desto stärker wird sie. Unser Buch “Tun wir was” versammelt über 40 sehr konkrete Tipps dazu.

Ihr seid auf Forschungsreisen viel herumgekommen, an welchen europäischen Ort denkt Ihr gerne zurück?

Vincent-Immanuel Herr: Die Straße von Messina, wenn man das kleine Stück zwischen Süditalien und Sizilien auf dem Schiff überquert.

Martin Speer: Die Bahnstrecke von Chur durch die Rheinschlucht ist wunderschön.

 

Das Interview führte Julia Hägele.

Über Herr & Speer

Vincent-Immanuel Herr und Martin Speer sind Autoren, Feministen, Berater und überzeugte Europäer aus Berlin. In ihrer Arbeit konzentrieren sie sich auf die Bereiche Europa und Geschlechtergerechtigkeit. Hierzu schreiben sie Artikel und Bücher, halten Impulse und Workshops, moderieren und beraten. Als sich ihre Wege erstmals 2008 während des Studiums in den USA kreuzten, begannen sie schnell über gesellschaftlichen Themen zu debattieren und stellten fest, dass uns eine Leidenschaft für Politik und das Streben nach konkreten gesellschaftlichen Lösungsansätzen verbindet. Zurück in Deutschland begannen sie 2013 gemeinsam Artikel zu verfassen und initiierten erste politische Kampagnen. Ob #FreeInterrail, #EuropeLovesUK oder #HeForShe, aus ihrem Teilzeitengagement ist mittlerweile eine Lebensaufgabe geworden. Heute setzen sie sich für ein geeintes Europa und Geschlechtergerechtigkeit ein. Sie arbeiten dafür, dass aus Ideen Wirklichkeit werden und möglichst viele Menschen ein Teil von Fortschritt sein können. Sie sind HeForShe Botschafter für UN WOMEN Deutschland und wurden im Jahr 2022 in den Gender Equality Advisory Council der G7-Staaten (GEAC) berufen.

Am 12. Oktober ist Martin Speer zu Gast beim Authors-MeetUp auf der herCAREER Expo.

Der Beitrag ist Teil einer Content Kooperation von weconomy & herCAREER und wurde zuvor bereits auf www.her-career.com veröffentlicht.

 

DE&I-Strategien mit strukturellem Impact

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Die Frage nach Vorzeigeunternehmen bzw. Best Practice Beispielen im Bereich DE&I (Diversity, Equity & Inclusion) beschäftigt nach wie vor viele Unternehmen. Von den Besten zu lernen und die Dinge genauso umzusetzen, wie es andere schon erfolgreich getan haben, ist ein legitimer Ansatz – leider funktioniert das konkrete Nachahmen aktuell noch nicht, da es wenige Organisationen gibt, die bereits umfassende strukturelle Erfolge auf dem Gebiet von nachhaltiger Gleichstellung erreicht haben.

Woran das liegt, ist auf den ersten Blick gar nicht so einfach zu erkennen. Fast jedes Unternehmen hat mittlerweile eine Diversitätsstrategie, richtet den Blick auf inklusives Recruiting, definiert Kennzahlen und Maßnahmenbündel und veranstaltet Diversitätstage und Podiumsdiskussionen zu LGBTQIA+.

ESRS Reporting-Richtlinien fordern ab 2025/26 umfassende Diversitätsberichte

Umgekehrt wird die Frage nachhaltiger Transformation in Richtung Equality und die konkrete Verknüpfung von Unternehmens- und Equality-Strategie noch weit weniger häufig gestellt. Stattdessen bestehen Unternehmen auf „kleine Schritte“ und reihen eher Maßnahme auf Maßnahme, anstatt sich ein mehrjähriges Transformationsprojekt zu überlegen.

Dies ist insofern erstaunlich, als aktuelle und zukünftige ESRS Reporting-Richtlinien bereits ab dem Jahr 2025/26 umfassende Darstellungen von Diversität fordern. Ab einer Größe von 250 Mitarbeiter:innen werden Unternehmen konkrete Zahlen im Hinblick auf die Verteilung von Geschlecht, Alter, weiterer demographischer Kriterien ebenso wie Kennzahlen zu Krankenständen, Weiterqualifizierung, etc. öffentlich zugänglich machen müssen.

Hintergrund der ESG (European Social Governance)-Ziele ist jedoch nicht eine reine Messung unterschiedlichster Dimensionen, sondern die klare Forderung an Unternehmen als gesellschaftliche Player Verantwortung dafür zu übernehmen, dass alle Menschen am Arbeitsmarkt gleiche Teilhabechancen erhalten.

Das bedeutet konkret, dass jede:r Mitarbeiter:in dieselben Möglichkeiten haben muss, in einem Unternehmen die nächste Karrierestufe zu erreichen – unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Alter, Behinderung, sexueller Ausrichtung oder Religion. Was in der Theorie einfach und fair klingt, stellt in der Praxis eine große Herausforderung für Unternehmen dar: Wie können Kriterien und Zahlen sinnvoll erhoben oder gemessen werden? Und: Wo fangen wir an?

Klares Ziel von Diversitätsmaßnahmen ist die strukturelle Veränderung, respektive die Verteilung von unterschiedlichsten Menschen in den entscheidungstragenden Positionen eines Unternehmens.

Implementation Matrix zur Bewertung von Diversitätsmaßnahmen

Aus diesem Grund haben wir bei Ward Howell eine Implementation Matrix erstellt, die beliebte Maßnahmen zum Thema Equality anhand von zwei Kriterien bewertet (siehe Abbildung). Ziel dieser Matrix ist es, einerseits den Aufwand und benötigte Ressourcen für eine Maßnahme einschätzen zu können, andererseits den gewünschten Effekt auf die Struktur des Unternehmens zu bewerten.

Klares Ziel von Diversitätsmaßnahmen ist die strukturelle Veränderung, respektive die Verteilung von unterschiedlichsten Menschen in den entscheidungstragenden Positionen eines Unternehmens. Finden sich in einem Vorstand vorwiegend Personen desselben Alters und Geschlechts vor, bedeutet strukturelle Veränderung, ein diverses Board mit unterschiedlichsten Personen aufzusetzen. Wie sich auf den ersten Blick erkennen lässt, korreliert der eher überschaubare Aufwand, den es beispielsweise für die Einrichtung eines Frauen-Netzwerks oder einer DEI-Veranstaltung braucht, mit einem geringen strukturellen Effekt.

Organisationale Hebel statt individuelle Programme

Ein konkretes Beispiel: „Female only“-Programme sind zwar immer noch beliebt, aber haben wenig strukturellen Effekt, denn sie setzen anstatt an organisationalen Hebeln an der individuellen Person an, was eher zu Anpassungsleistungen (Stichwort: Wie überlebe ich in einem maskulinen Umfeld?), anstatt zu einer wertschätzenden und inklusiven Kultur führt. Frauen werden hierbei darüber hinaus als homogene Gruppe konzipiert, die unterstützenswert ist und von der Organisation gefördert werden muss. Männer hingegen werden in dieser Idee als nicht unterstützungswürdig betrachtet und non-binäre Personen kommen erst gar nicht vor.

Umso wichtiger ist es, sich von alten Formaten wie diesen zu lösen und auf jene Maßnahmen zu setzen, die echte Veränderungen in der Struktur des Unternehmens (= in der zahlenmäßigen Verteilung von unterschiedlichen Personen) nach sich ziehen. Diese lassen sich in der Grafik vor allem in den beiden rechten Feldern verorten, je nach Komplexität unterteilt in leichter umzusetzende Maßnahmen (wie etwa Führungskräfte-Trainings, Veränderung des Recruiting-Prozesses) oder in komplexere strategische Maßnahmen wie die Verbindung von Unternehmens- und Equality-Strategien.

Equality Performance: Diversität in Zahlen

Die viel zitierte und 2023 in den Vordergrund gerückte „male allyship“ – also männliche Unterstützung, um eine bessere Gender Balance zu erhalten, bekommt im Hinblick auf die strukturelle Wirksamkeit von uns ebenso keine Bestnoten. Abgesehen vom oben beschriebenen stereotypen Gender-Zugang zu Männern und Frauen und die Nicht-Berücksichtigung aller anderen Geschlechter hat der individuelle Einsatz von männlichen Peers und Entscheidungsträgern nur dann einen positiven Effekt, wenn er strukturell verankert ist.

Spricht also der männliche CEO über die Wichtigkeit von Equality und Diversity ist das zwar wünschenswert, aber dennoch wurde damit noch kein nachhaltig positiver Effekt erzeugt. Nimmt aber ein:e CEO seine:ihre Rolle als Verfechter:in von Equality in Unternehmensprozessen wahr und fordert von den Führungskräften und Bereichsleiter:innen mittels KPIs entsprechende Zahlen ein, entwickelt sich eine Kultur, in der laufend über Equality Performance gesprochen wird.

Gastbeitrag von Marita Haas.

Zur Person:

Unternehmensberaterin Dr. Marita Haas leitet bei Ward Howell International den Beratungsschwerpunkt People, Culture & Organization Advisory. Dieser umfasst unter anderem die Begleitung von Unternehmen bei Change Prozessen in Richtung inklusive Organisationen, Strategie- und Organisationsentwicklung sowie Executive Coaching und Leadership Consulting. Marita Haas verfügt über einen wissenschaftlichen Background und begleitet renommierte österreichische Unternehmen bei der Weiterentwicklung in faire und inklusive Organisationen. Sie positioniert sich dabei klar gegen herkömmliche Gender- und Diversitätsprogramme und steht für Veränderung von Strukturen und Prozessen.